taz.de -- Gipfel zu Ukraine und Syrien: Sechs Stunden ohne echtes Resultat

Merkel, Putin und weitere europäische Spitzenpolitiker diskutieren in Berlin stundenlang über die Krisenländer. Mit einem ernüchternden Ergebnis.
Bild: Einer der wenigen Berührungspunkte: Putin (l.) und Merkel beim Handschlag

Berlin taz | Ein Mann aus dem syrischen Deir ez-Zor steht am frühen Mittwochabend vor dem Kanzleramt und wartet auf den russischen Präsidenten. Rechts von ihm: Demonstranten mit gelb-blauen Ukraine-Fahnen. Links von ihm: Demonstranten mit den grün-weiß-schwarzen Fahnen der syrischen Opposition. Um seinen Hals: ein Schild mit der Aufschrift „Stopp Putin!“

Der Mann sagt, er heiße Mohammed Ali, fast so wie der berühmte Boxer. Er lebe seit zehn Monaten in Berlin und könne genau prophezeien, was in den nächsten Stunden zwischen Angela Merkel und Wladimir Putin geschehen werde: „Sie wird ihn bitten, mit der Bombardierung Syriens aufzuhören. Und ihm wird das egal sein.“

Es ist 18:28 Uhr, als die russische Wagenkolonne vorfährt. In den kommenden Stunden wird Putin mit Merkel, dem französischen Präsidenten François Hollande und dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko einen Krisengipfel der besonderen Art abhalten: vier Stunden Verhandlungen zum verfahrenen Konflikt in der Ukraine, dann, ohne Poroschenko, zwei weitere Stunden zum noch viel verfahreneren Syrien-Konflikt.

„Der heutige Tag hat keine Wunder bewirkt“, wird Merkel hinterher sagen. Aber: „Es ist wichtig, immer wieder solche Treffen zu machen, um das Momentum nicht ganz zu verlieren.“

Gespräch als Erfolg

In anderen Worten: Höchstens in Details ging es ein paar kleine Schritte voran. Einer der größten Erfolge bleibt also, dass dieses Gespräch überhaupt zustande kam, dass Merkel und die drei Präsidenten zum ersten Mal seit über einem Jahr im sogenannten Normandie-Format tagten.

Am Ende ist das konkreteste Ergebnis die Einigung auf einen Zeitplan für einen Zeitplan für die Ukraine. Im Friedensabkommen von Minsk sind die anstehenden Maßnahmen zwar klar benannt, nicht aber ihre Reihenfolge. Das sorgt seit Monaten für Streit: Die Ukraine fordert als nächsten Schritt den Abzug prorussischer Soldaten, die Separatisten wollen dagegen erst mal einen politischen Sonderstatus und Kommunalwahlen für die Ostukraine.

In den nächsten Wochen sollen sich beide Seiten auf eine verbindliche Reihenfolge einigen, ein erster Vorschlag für diesen Zeitplan steht bereits. „Die gute Nachricht ist, dass wir jetzt ein Ausgangsdokument haben, das aber noch viele Unstimmigkeiten hat“, sagt Merkel, als sie gegen ein Uhr vor die Presse tritt. Geplant ist, dass die Außenminister die endgültige Roadmap bis Ende November festlegen. „Das wird sicherlich noch sehr mühselig werden.“

Das Problem vertagt

Das kann man positiv sehen: Die Gespräche reißen nicht ab. Man kann es aber auch weniger positiv sehen: Auch das Berliner Treffen führte nicht zu einer Einigung. Ob der Zeitplan mit Hilfe der Außenminister bis Ende November tatsächlich steht, ist zumindest offen. Fürs Erste ist das Problem lediglich vertagt.

Noch weniger Fortschritte brachte das Gespräch in Sachen Syrien. Zwar kündigten Putin und sein syrischer Verbündeter Assad vor dem Berliner Gipfel (oder gerade wegen des Gipfels) an, am Donnerstag für mindestens acht Stunden im besonders umkämpften Ost-Aleppo die Waffen ruhen zu lassen. Während des Treffens mit Merkel und Hollande stellt er sogar in Aussicht, die Feuerpause zu verlängern. Nur: Seine Gesprächspartner trauen ihm nicht. Sie glauben nicht daran, dass Russland seine Luftangriffe auf zivile Einrichtungen langfristig zurückfahren wird.

Beim Treffen des Europäischen Rats, das am Donnerstag in Brüssel startet, steht das Thema Syrien ebenfalls auf der Tagesordnung. Aus der Bundesregierung hieß es am Mittwoch, dass die Frage nach möglichen neuen Sanktionen gegen Russland dort sicherlich diskutiert werde – obgleich zunächst keine Entscheidung fallen werden. Die Feuerpause für Aleppo jedenfalls ändert an den Sanktionsdrohungen nichts. „Man kann sich der Option nicht berauben“, sagt Merkel in der Nacht.

„Ein echtes Kriegsverbrechen“

„Wir hatten eine sehr harte Aussprache. Ich habe deutlich gemacht, dass wir die Bombardierungen, die dort stattfinden, für unmenschlich halten“, fügt sie hinzu. Hollande, der mit ihr vor der Presse steht, wird noch deutlicher. „Was in Aleppo passiert, ist ein Kriegsverbrechen. Ein echtes Kriegsverbrechen“, sagt er.

Rückblick, Stunden zuvor vor dem Kanzleramt: Nicht nur Mohammed Ali aus Deir ez-Zor, die übrigen Syrer und die Ukrainer demonstrieren hier. Einige Meter weiter, nur durch ein rot-weißes Flatterband von ihnen getrennt, stehen auch knapp 30 Demonstranten mit russischen Fahnen. „Vivat Putin!“, rufen sie, als der russische Präsident vorfährt.

Eine der Demonstrantinnen heißt Valentina Pasania und stammt aus Abchasien am Schwarzen Meer. Sie erzählt, dort hätten einst, während die Sowjetunion zerfiel, ukrainische Söldner ihren Bruder erschossen. „Putin ist mächtig, er kann Frieden schaffen in der Welt“, sagte sie jetzt. Im Donbass zum Beispiel, wo Faschisten aus Kiew vor zwei Jahren angerückt seien, um Einheimische zu töten.

Und was sagt sie über die Demonstranten auf der anderen Seite des Flatterbandes? Die mit den ukrainischen Fahnen und die mit den syrischen, die jetzt „Putin raus!“ rufen? Die, für die der russische Präsident kein Erlöser ist? „Die denken anders als wir“, sagt Valentina Pasania. Zumindest damit hat sie sicherlich recht.

20 Oct 2016

AUTOREN

Tobias Schulze

TAGS

Schwerpunkt Syrien
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Russland
Schwerpunkt Angela Merkel
Wladimir Putin
Francois Hollande
Petro Poroschenko
Investigativer Journalismus
EU-Sanktionen
Uno
Lesestück Interview
Schwerpunkt Angela Merkel
Russland
Kurden
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Russland
Schwerpunkt Syrien
Schwerpunkt Syrien

ARTIKEL ZUM THEMA

Urteil des Europäischen Gerichtshofs: Keine Telefondaten für die Ukraine

Die Ukraine bekommt keine Mobiltelefondaten der Investigativjournalistin Natalia Sedletska. Diese war zuvor in zwei Prozessen unterlegen.

EU-Streit über Russland-Sanktionen: Kein Gipfel der Harmonie

Nach einem Streit verlängern die EU-Mitgliedstaaten die Sanktionen gegen Russland doch. Beim Abkommen mit der Ukraine bremsen die Niederlande.

Bürgerkrieg in Syrien: Ein neuer Anlauf bei der UNO

Nach dem Ende der Feuerpause in Aleppo kommt es wieder zu Kämpfen. Ban Ki Moon fordert ein Eingreifen der UN-Generalversammlung.

Jürgen Trittin zur grünen Syrienpolitik: „Sanktionen taugen nicht“

Die Grünen-Spitze fordert eine Flugverbotszone und Sanktionen gegen Syrien. Jürgen Trittin hält das für unverantwortlich.

Kommentar Sanktionen gegen Russland: Drohgebärden helfen nicht

Statt von harten Sanktionen ist nach dem EU-Gipfel nur noch von Optionen die Rede. Das liegt auch an Italien. Dessen Premier Renzi hat gute Argumente.

Feuerpause in Aleppo: Regierung verspricht freien Abzug

Die Syrische Armee und russische Verbündete öffnen Korridore in Aleppo, damit Menschen fliehen können. Ein EU-Gipfel droht Assad-Unterstützern mit Sanktionen.

Luftangriff bei Aleppo: Türkei tötet kurdische Kämpfer

Türkische Flugzeuge nehmen in der Nacht Rebellenziele ins Visier. Für die USA sind die kurdischen Einheiten aber die effektivste Waffe im Anti-IS-Kampf.

Gipfeltreffen mit Putin in Berlin: Gedämpfte Erwartungen

Bringt die nächste Verhandlungsrunde mit Russlands Präsident den Donbass einer friedlichen Lösung näher? Die Ukrainer sind skeptisch.

Gipfeltreffen zur Ost-Ukraine: Dialog als einzige Chance

Merkel und weitere europäische Politiker wollen im Gespräch mit Putin versuchen, das Minsker Abkommen durchzusetzen. Auch die Lage in Syrien wird erörtert.

Diskussion um Sanktionen: Putins Krieg in Aleppo spaltet die EU

Unter den Mitgliedsländern der EU gibt es keine Einigkeit über neue Russland-Sanktionen. Großbritannien friert alle „Russia Today“-Konten ein.

Westliche Stragien gegen den Krieg: Wie weiter in Syrien?

Wieder einmal treffen sich Russlands Außenminister Lawrow und US-Außenminister Kerry. Die westlichen Länder diskutieren ihre Handlungsoptionen.