taz.de -- Erneuerbare unter Beschuss: Koalition schockiert Ökostromer
Ein Schwarz-rotes Papier verunsichert die Branche: Müssen Windmüller bald Energie aus Kohlekraft kaufen, wenn ihre Anlagen stillstehen?
FREIBURG taz | Es ist nur ein kleiner Absatz im Entwurf des schwarz-roten Koalitionsvertrags – und doch weckt er derzeit bei Ökostromern in der ganzen Republik böse Befürchtungen. In dem Papier der Arbeitsgruppe Energie heißt es, die neue Regierung wolle „prüfen, ob große Erzeuger von Strom aus Erneuerbaren Energien einen Grundlastanteil ihrer Maximaleinspeisung garantieren müssen“.
Konkret könnten also Anlagenbetreiber – zum Beispiel großer Windparks – eines Tages verpflichtet werden, bei einer Windflaute am Markt Strom aus anderen Quellen einzukaufen – und diesen dem Netz zur Verfügung zu stellen. Offenbar ist der Passus bisher in den Koalitionsrunden wenig umstritten: In der Fassung der AG Energie vom 11. November unter Leitung von Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) und NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) tauchte er erstmals auf, er steht auch im Entwurf eines Koalitionsvertrags von Sonntagabend unverändert drin.
Weiter heißt es: Ihre Pflicht könnten die Anlagenbetreiber „in eigener Verantwortung vertraglich mit Betreibern von Speichern, von nachfrageabhängig regelbaren Erneuerbaren Energien, abschaltbaren Lasten oder von fossilen Kraftwerken erfüllen“. Ökostromerzeuger könnten damit per Ukas aus Berlin zu Kunden etablierter Kohlestromkonzerne werden.
Wenig überrascht die Einschätzung der Zeit über die Urheber des Absatzes: „Der entscheidende Satz soll auf Drängen der Chefs von RWE und Eon, Peter Terium und Johannes Teyssen, in den Vertragsentwurf gekommen sein.“
RWE und Eon stecken hinter Formulierung
Beobachter sehen in den Planungen eine Absage der Großen Koalition an das Gelingen der Energiewende. Entsprechend alarmiert ist der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE): Die Formulierung im Entwurf des Koalitionsvertrags sei „in der Sache sehr kritisch“, sagte ein Sprecher des Verbandes. Denn sollte eine solche Regelung Gesetz werden, würde der weitere Ausbau der erneuerbaren Energien unattraktiv.
Unterdessen forderte die stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, Bärbel Höhn, Union und SPD dazu auf, ihre Pläne „schleunigst zu konkretisieren“. Es sei „ärgerlich, dass die Koalitionäre in spe es immer wieder schaffen, die komplette Branche zu verunsichern“. Mit solchen Vorstößen würden Investoren abgeschreckt, selbst wenn es sich, wie hier, nur um eine „schwammige Formulierung“ handle.
Der BEE wies darauf hin, dass die Ökostrombranche zwar anerkenne, dass sie zunehmend Verantwortung für das gesamte Stromnetz übernehmen muss. Denn nur dann sei ein Umstieg in eine moderne Energiewirtschaft möglich. Allerdings könne Systemverantwortung nicht bedeuten, dass man jedem Ökostromerzeuger den Stromhandel mit Betreibern anderer Kraftwerke auferlegt. Sinnvoll sei stattdessen der Aufbau flexibler Kleinkraftwerke, die im Zusammenspiel mit den im Output schwankenden erneuerbaren Energien betrieben werden.
25 Nov 2013
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Sie machen Milliardenverluste: Konzerne wie RWE oder Gaz de France legen derzeit katastrophale Jahreszahlen vor. Das könnte erst der Anfang sein.
Wichtige Punkte der Energiepolitik wurden offenbar über Nacht aus dem Koalitionsvertrag gestrichen. Fachpolitiker aus Union und SPD sind verärgert.
Eine Fraunhofer-Studie zeigt: Ein Ausstoß von 80 Prozent weniger Treibhausgas ist möglich und nicht teurer als das heutige Energiesystem.
Schwarz-Rot bekennt sich zur Energiewende – allerdings mit Zurückhaltung. Die formulierten Ziele sind oft schwammig. Fragen bleiben offen.
Grüne und Linke drohen, notfalls nach Karlsruhe zu gehen, um ihre Oppositionsrechte einzuklagen, wenn es zur großen Koalition kommt.
Die großen Energieversorger nehmen Einfluss auf die Koalitionsverhandlungen in Berlin. Sie wollen ihre Kohle vermarkten.
Bis in die Nacht rangen Union und SPD um den Koalitionsvertrag. Bald geht es in die voraussichtlich letzte Runde. Viele Fragen sind noch offen.
Ottmar Edenhofer fordert höhere CO2-Preise. Damit will der Wirtschaftswissenschaftler die Blockade bei den Verhandlungen zum Klimawandel durchbrechen.
In Warschau können sich die Staaten nur auf vage Absichtserklärugen einigen. Schlecht für das Klima. Die Politik braucht mehr Druck von Menschen.
RWE-Chef Peter Terium hatte noch vor Blackouts in Europa gewarnt. Jetzt sagt er: Stromverbraucher in Deutschland müssen sich keine Sorgen machen.
Der Klimagipfel in Warschau erinnert an einen Kirchentag. Allen ist klar: Hier wird geredet, entschieden wird woanders.
BUND und Bürgerinitiativen werfen Vattenfall vor, den Volksentscheid über den Rückkauf der Energienetze zu ignorieren. Konzern plant weiter, als wäre nichts geschehen.
Ein nationales Klimaschutzgesetz oder der „Ausbaukorridor“ für die Erneuerbaren – darüber entscheiden nun die Parteispitzen. Gut für die Industrie.
Die Energiekonzerne bangen um ihre konventionellen Kraftwerke – und prognostizieren einen Engpass. Gehen jetzt die Lichter aus?