taz.de -- Umstrittene Waffenlieferungen in den Irak: Sigmar Gabriel sieht keinen Tabubruch
Der Vizekanzler sichert sich im Fall der Waffenlieferungen in den Irak die Unterstützung seiner SPD zu. Die Linkspartei beharrt auf einem Mandat des Bundestags.
BERLIN dpa | Im Streit um deutsche Waffenlieferungen in den Irak zur Bekämpfung der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) hat sich Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) der Unterstützung seiner Partei versichert. „Das ist kein Paradigmenwechsel und kein Tabubruch“, stellte der SPD-Chef am Samstag am Rande einer Klausur von Präsidium, Fraktionsspitze und SPD-Bundesministern in Berlin klar. Priorität habe weiterhin die humanitäre Hilfe für die Kurden. „Für die SPD ist absolut klar, es wird keinen Bundeswehreinsatz im Irak geben.“
Eine abweichende Haltung nahm SPD-Vize Ralf Stegner ein, der eine militärische Lösung als Sache der USA sieht. „Meine Sorge ist, dass die Folgewirkung ist, dass wir heute Waffen liefern und morgen werden damit unschuldige Menschen erschossen“, sagte er. Deutschland leiste schon viel. „Wir dürfen die humanitäre Hilfe nicht geringschätzen.“
Die Waffenlieferungen sind quer durch alle Fraktionen umstritten, breite Ablehnung gibt es vor allem in der Opposition. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) will zu der Entscheidung eine Regierungserklärung abgeben. Der Bundestag kommt dazu am 1. September zu einer Sondersitzung in den Parlamentsferien zusammen. Ein Mitspracherecht hat der Bundestag nicht. Merkel und die zuständigen Minister wollen am kommenden Mittwoch abschließend entscheiden.
Merkel verteidigte die Aufrüstung der Kurden im Kampf gegen die IS-Terrormilizen. „Wir sind zu der Überzeugung gelangt, dass die Gräueltaten der IS und die terroristische Bedrohung durch den IS-Vormarsch so groß sind, dass wir handeln sollten“, sagte sie der Freien Presse.
Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) sagte bei einer Kundgebung in Stuttgart: „Man kann Terroristen nicht mit Menschenketten und Gebeten stoppen. (...) Wir wehren uns auch mit Waffen.“ Es dürfe nicht zugelassen werden, „dass das Mittelalter mitten in unsere heutige Zeit kommt“. Kauder wollte noch am Samstag in den Nordirak reisen.
Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sieht trotz der Bedenken im linken SPD-Flügel keine Alternative. Er sagte: „Natürlich sind Waffenlieferungen in Spannungsgebiete nur in allergrößten Ausnahmefällen möglich. Wir sind hier in einer Sondersituation.“
Claudia Roth: Notlage der Kurden wird instrumentalisiert
Die Grünen-Politikerin Claudia Roth warf der Bundesregierung vor, die Notlage der Kurden für einen Tabubruch zu instrumentalisieren. „Es ist doch entlarvend, wenn (Verteidigungsministerin) Ursula von der Leyen sagt, wichtiger als die Frage, ob und welche Waffen Deutschland liefert, ist die Bereitschaft, Tabus zu brechen“, sagte sie der Süddeutschen Zeitung. Sie habe den Verdacht, dass diese Debatte zum Teil geführt werde, „um eine Neuausrichtung der deutschen Außenpolitik zu erreichen“.
Linke-Chefin Katja Kipping pochte auf ein Mandat des Bundestages. „Ich habe große Zweifel, dass die Bundesregierung so etwas eigenmächtig beschließen kann. Das widerspricht mindestens dem Geist des Parlamentsbeteiligungsgesetzes“, sagte sie der Mitteldeutschen Zeitung. „Kriegswaffen aus Armeebeständen mitten in ein Kriegsgebiet zu liefern, dafür gibt es keinen Präzedenzfall.“
Auch Baden-Württembergs Grünen-Vorsitzender Oliver Hildenbrand sagte, die Forderung nach einem Bundestagsmandat lasse sich nicht einfach vom Tisch wischen. „Es geht hier um ein Abrücken von einem bisherigen Grundsatz der deutschen Außenpolitik: Keine Waffenlieferungen in Krisenregionen.“
23 Aug 2014
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Deutschland liefert Waffen für den Kampf gegen die Terrormiliz IS an die Kurden im Nordirak. Das beschloss eine Ministerrunde unter Leitung von Merkel.
In Sachen humanitärer Hilfeleistung im Irak sind sich Regierung und Opposition einig. Diese sei möglichst schnell zu leisten. Bei der Asylvergabe sieht das anders aus.
Seit Wochen sind Tausende Menschen in einer irakischen Kleinstadt von der Terrormiliz IS eingekesselt. Nun schlagen die Vereinten Nationen Alarm.
Frank-Walter Steinmeier kann vermitteln. Aber nicht alles. Während seiner Wahlkampftour durch Brandenburg stößt er auch auf Unverständnis.
Die USA überlegen, auch in Syrien Einsätze zu fliegen. Deutsche sind nach einer Umfrage gegen Waffenlieferungen in den Irak.
US-Verteidigungsminister Hagel hat die IS-Miliz als „Bedrohung“ für die USA bezeichnet. Sie sei so gut ausgerüstet wie keine andere Terrorgruppe.
Die Bundesregierung will Waffen in Bürgerkriegsgebiete liefern. Dazu muss sie Rüstungsexport-Grundsätze sehr kreativ auslegen.
Verstößt die Regierung mit ihrer Waffenhilfe gegen eigene Grundsätze? Exporte an Nicht-Nato-Staaten sind nur eingeschränkt genehmigungsfähig.
Unabhängig davon, ob Waffenlieferungen in den Irak im Moment richtig sind: Die Begründung der Bundesregierung dafür ist moralisch fragwürdig.