taz.de -- Deutsch-jüdische Designerinnen: Eleganz und Spiel

Gestalterinnen der Moderne: Der Nationalsozialismus hat viele von ihnen in die Vergessenheit gedrängt. Das Jüdische Museum in Berlin stellt sie vor.
Bild: Porträt Lotte Pritzel mit einer ihrer Puppen, Fotografie, vermutlich Wien 1923

Woher die vielen Exponate der oft unbekannten 60 Designerinnen kommen, will eine Journalistin beim Pressetermin von Michal S. Friedlander wissen. Nicht selten von Familien außerhalb Deutschlands, antwortet die Kuratorin, vor allem aus den USA und aus Israel. Anderes befände sich in der Sammlung des Museums, wieder anderes hätte sie – die Namen der Designerinnen seien den Anbietern unbekannt gewesen – preisgünstig auf eBay ersteigern können.

Hinter Friedlanders kuratorischer Arbeit liegen rund zwanzig Jahre genealogischer Recherche. Für die Sonderausstellung „Widerstände. Jüdische Designerinnen der Moderne“ im Jüdischen Museum Berlin hat sie nicht nur rund 400 Exponate teils ausfindig machen und so zusammenstellen können. Sie hat auch die Biografien von deren Urheberinnen, sofern nicht oder nur unvollständig bekannt, gesichert oder nach Möglichkeit vervollständigt.

Arbeiten von 60 deutsch-jüdischen Gestalterinnen zu zeigen, die in und seit der Zeit des frühen 20. Jahrhunderts im Zeichen der Moderne wirkten, ist schon begrifflich kein leichtes Unterfangen. Sehr unterschiedliche Gestaltungsdisziplinen sind in der Ausstellung vertreten: Keramik, Mode- und Grafikdesign, Goldschmiede- oder Textilkunst. Notwendigerweise legt sich auch der umfangreich bebilderte Katalog für den Berufszweig der Gestalterinnen auf den Begriff des „Kunsthandwerks“ fest.

Diese in der Ausstellung gezeigte Vielfalt (von den zeremoniellen Metallgegenständen von Rahel Ruth Sinasohn bis zum Foto des geflügelten, avantgardistischen Huts von Regina Friedlaender) bildet sich auch in den Biografien der Gestalterinnen ab: zwischen der 1870 geborenen Perlenstickerin und Frauenrechtlerin Ida Dehmel, die im Jahr [1][1926 den Künstlerinnenverband Gedok] gründete und etwa der 1905 geborenen Marianne Heymann, die am Weimarer Bauhaus studierte, liegt nicht nur eine Generation, sondern auch ein moderner gewordener gestalterischer Ausdruck.

Aufbruch nach dem Ersten Weltkrieg

Dieser ist auch der für jüdische Studentinnen vergleichsweise günstigeren Ausbildungssituation nach dem Ersten Weltkrieg zu verdanken: unter den am Bauhaus studierten, in der Ausstellung vertretenen Gestalterinnen dürfte [2][Anni Albers] die bekannteste sein. Aber auch die 1902 in Berlin von dem gleichnamigen jüdischen Ehepaar gegründete „Schule Reimann“ war inzwischen angewachsen, hier wurden etwa Natasha Kroll, Erna Rosenberg oder Elisabeth Tomalin ausgebildet.

Trotz solcher Unterschiede gemein sei allen vertretenen Designerinnen, so Friedlander, dass sie – auch in der Weimarer Republik – Mehrfachdiskriminierung erfuhren. Sie seien sowohl Sexismus als auch Antisemitismus ausgesetzt gewesen, weshalb der Ausstellungstitel auf die verschiedenen Widerstände verweist, gegen die die Frauen mit ihrer emanzipatorischen, selbst widerständigen Praxis erfolgreich ankämpften.

Gemein ist den Gestalterinnen auch, dass das NS-Regime ihre Karrieren und Biografien beschädigte, zerbrach, und viele von ihnen zudem, oder gerade dadurch, aus der (deutschen) Designgeschichte verdrängt wurden – zumal als Frauen. Einige konnten ins Ausland fliehen und dort an ihre Tätigkeiten anknüpfen, andere wurden von den Nazis ermordet oder begingen – wie Ida Dehmel – Suizid.

Viele konnten nach Emigration oder Flucht ihre ursprünglichen Tätigkeiten nicht mehr ausüben oder passten sich neuen Gegebenheiten an: von der Mode- und Grafikdesignerin Dodo (Dörte Wolff ) werden etwa um 1926 entstandene Zeichnungen von gliederpuppenähnlichen Ball-Kostümen oder eine Illustration von 1929 ausgestellt, die eine Straßenszene mit einer so mode- wie selbstbewussten Frau der Weimarer Zeit zeigt. Mit ihrer Emigration nach England 1936 ändert sich Dodos Stil: sie illustrierte jetzt Kinderbücher, notgedrungen nicht extravagant.

Eindrücklich wird „Widerstände“ insbesondere dort, wo den Objekten schriftliche Quellen beigefügt sind: ein Artikel aus der NS-Tageszeitung „Der Angriff“ von 1935 kontrastiert Arbeiten der jüdischen Keramikerin [3][Margarete Heymann-Loebenstein] mit Werken der nicht-jüdischen Keramikerin Hedwig Bollhagen.

„Zwei Rassen fanden für denselben Zweck verschiedene Formen. Welche ist schöner?“, lautet eine Bildunterschrift. Die intendierte Antwort entsprach natürlich ideologischen, antisemitischen Kriterien, denn nur Bollhagens Arbeiten seien „aus deutscher, volkstümlicher Empfindung“ entstanden.

Bekanntlich war es Bollhagen selbst, die, nachdem die von Heymann-Loebenstein mitgegründeten „Haël-Werkstätten für Künstlerische Keramik“ in Marwitz zu stark reduziertem Preis verkauft worden waren und sie nun deren künstlerische Leitung übernahm, dem „Angriff“ das Bildmaterial mit den Keramiken Heymann-Loebensteins zur Verfügung stellte. Letztere emigrierte 1936 nach Großbritannien; es gelang ihr dort nicht mehr, an ihre Erfolge anknüpfen.

24 Jul 2025

LINKS

[1] /Benachteiligung-ist-immer-noch-deutlich-spuerbar/!5982117&s=Ida+Dehmel+Gedok&SuchRahmen=Print/
[2] /Die-moderne-Frau-und-Kuenstlerin/!5518329
[3] /Ein-Teppich-zum-Zaehlenlernen/!578660&s=Margarete+Heymann+Loebenstein&SuchRahmen=Print/

AUTOREN

Martin Conrads

TAGS

Design
Geschichte
Jüdisches Museum Berlin
Künstlerinnen
Bauhaus
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Verdrängung
Social-Auswahl
Ausstellung
Oldenburg
Philharmonie
wochentaz
Zeitgenössische Malerei
Architektur
Stadtplanung
Wirtschaftskrise
Museum für Kunst und Gewerbe

ARTIKEL ZUM THEMA

Ausstellung im Jüdischen Museum Wien: Wie Juden und Jüdinnen weiß wurden

Diese Ausstellung zeigt jüdische Selbst- und Fremdbilder. Sie widerspricht einem Antirassismus, der jüdische Diskriminierungserfahrungen negiert.

Ausstellung über Renato Mordo: Gehetzt in Ruhm und Elend

Renato Mordo war Regiestar der Weimarer Republik. Das Oldenburgische Staatstheater erinnert an sein Wirken, sein Exil und die Besatzung Griechenlands.

Oper von 1929 beim Musikfest Berlin: Multimediales Gesamtkunstwerk im Bauhaus-Geist

Vor fast 100 Jahren wurde sie geschrieben. Nun wurde Marc Blitzsteins kubistische Oper „Parabola et circula“ endlich in der Philharmonie uraufgeführt.

100 Jahre Bauhaus in Dessau: Im besten Sinne modern

Das Bauhaus in Dessau wird von rechts angefeindet. Umso wichtiger ist es, die Orte progressiver Erinnerung zu schützen.

Die Malerei von Simin Jalilian: Mit einem feinen Nerv für politische Stimmungen

Simin Jalilian kam 2016 aus dem Iran nach Deutschland. Ihre expressive Malerei zeigt die Beobachtungen einer Künstlerin zwischen Integration und Abschiebung.

Buch über Architektin: Das Marlene-Poelzig-Haus fehlt

Das Buch „Haus Marlene Poelzig, Berlin. Abriss und Aufbruch“ erzählt von der Architektin und reflektiert Lücken der Architekturgeschichte.

Hundert Jahre Neues Frankfurt: Am Menschen orientiert

Das Neue Frankfurt setzte Maßstäbe für eine moderne und soziale Gestaltung der Stadt. Ein Blick auf die Mainmetropole und aktuelle Ausstellungen.

Vor 100 Jahren Hauptstadt der Fotografie: Berlinerinnen, die mit Licht und Schatten spielten

Viele Fotostudios wurde in den 1920er Jahren von Frauen geführt. Fotografinnen wie Else Neuländer setzten den Kurfürstendamm & Co. in ein neues Licht.

Ausstellung „Learning from Loheland“: Aus dem Körper heraus

Seit den 1920ern erprobten Frauen in der Siedlung Loheland reformpädagogische Konzepte. Eine Hamburger Ausstellung fragt, was wir davon lernen können.