taz.de -- Rechte Karte mit Flüchtlingsunterkünften: Wie eine Anleitung zur Gewalt
Auf einer Karte listet die rechtsextreme Partei „Der dritte Weg“ deutsche Flüchtlingsunterkünfte auf. Google lässt sich Zeit mit der Prüfung.
Es sieht nach Hetzjagd aus. Unter dem Stichwort „Kein Asylantenheim in meiner Nachbarschaft“ findet sich eine mit Google MyMaps erstellte Karte, die sämtliche Flüchtlingsheime in Deutschland enthält.
Für jede Unterkunft gibt es eine rote Markierung und mit einem Klick erfährt man nicht nur die genaue Adresse, sondern auch die ehemalige Nutzung des Gebäudes und die Anzahl der dort untergebrachten Flüchtlinge. Sogar einzelne Wohnungen, die für Asylsuchende angemietet wurde, sind auf der Karte vermerkt. „Bitte teilen Sie uns weitere Standorte von Asylantenheimen mit“, heißt es in der Beschreibung. „Nur mit Ihrer Hilfe kann es gelingen flächendeckend möglichst viele Asylantenheime zu erfassen.“
Tröglitz, Freital, Meißen – nahezu im Wochentakt werden Flüchtlingsheime zur Zielscheibe rechter Gewalt. Und nun taucht – fast wie eine Anleitung für orientierungslose Nachahmungstäter – diese interaktive Karte auf.
Auf Twitter und Facebook hagelt es entsetzte Posts und Aufforderungen, die Karte zu melden. „Für rechte Anschläge gibt es jetzt einen Tourismusführer“, [1][twittert ein Nutzer]. Und „Der Volksmob kartiert Flüchtlingsheime“, schreibt die Autonome Antifa Stuttgart. Der Aufschrei im Netz läuft schon seit mehreren Tagen. Die Karte von und für Rechtsradikale aber ist noch immer an Ort und Stelle und mit wenigen Klicks erreichbar.
Kackscheiße abschalten
Viel Unverständnis der Internet-Gemeinschaft wendet sich nun gegen Google. „Hättet ihr wohl die Güte [2][die Kackscheiße] abzuschalten“, oder „Hey Google, hier machen Nazis Stimmung mit Googlemaps. Kann man das nicht löschen?“, [3][schreiben die Twitternutzer]. Google hält sich vorerst bedeckt und verspricht die Vorwürfe zu prüfen.
„MyMaps ist eine neutrale Plattform, die man zum Veröffentlichen von geografischen Informationen nutzen kann. Wir werden selbstverständlich jede Karte entfernen, die gegen unsere Richtlinien verstößt und überprüfen derzeit, ob das hier der Fall ist.“ sagt Sprecherin Lena Heuermann. Ob Hetze und Aufrufe gegen Flüchtlinge gegen sie Richtlinien des Konzerns verstoßen, muss also erst geklärt werden.
Die Karte ist Teil der Kampagne „Kein Asylantenheim in meiner Nachbarschaft“, hinter der die rechtsextremistische Partei „Der dritte Weg“ steht. Auf ihrer Seite wird nicht nur die Karte bei MyMap beworben, sondern auch ein Leitfaden zur Kampagne angeboten, der beschreibt, wie „die Errichtung eines Asylantenheims verhindert“ werden kann.
Auf der Internetseite wird auch deutlich, dass die Karte schon seit mehr als sieben Monaten online ist. Eigentlich hätte Google also genug Zeit gehabt, zu überlegen, ob es rechte Inhalte dulden will.
15 Jul 2015
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Der Vorwurf: Brandstiftung und Sachbeschädigung. Das Motiv: Ausländerfeindlichkeit. Der Angriff vom Juni hat Folgen für die Tatverdächtigen.
Unter dem Namen „Luke Skyvodka“ hetzte ein Facebook-Nutzer gegen Flüchtlinge. Dahinter könnte ein Polizist stecken, bestätigt die Berliner Polizei und ermittelt.
Eine NS-Überlebende wehrt sich juristisch gegen einen Facebook-Hetzer. Seine Kommentare haben sie auf eine Stufe mit den Tätern gestellt.
In Kassel bietet ein Neonazi Waffen zum Kauf. Der Fall zeigt: Rechtsextreme lassen auch nach dem NSU nicht von Waffen. Die Szene bleibt explosiv.
In Freital wurde das Auto eines Lokalpolitikers der Linken bei einer Explosion beschädigt. Die Partei vermutet eine politisch motivierte Tat.
Mit einer Streetart-Aktion an Bushaltestellen provoziert ein Künstlerkollektiv den Mob in der sächsischen Stadt Freital. Die Resonanz im Netz ist groß.
In Brandenburg ist die Gefahr am größten, Opfer eines Neonazi-Übergriffs zu werden. Das geht aus den Zahlen des Bundesinnenministeriums hervor.
Die Attacke auf den Amtssitz von Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) ist in diesem Jahr schon der fünfte Anschlag von Autonomen in Bremen.
In der letzten Zeit wurden vermehrt Anschläge auf geplante Unterkünfte für Asylsuchende verübt. Die rechte Szene feiert den Hass.
In Hamburg wird über eine neue Erstaufnahmestelle am HSV-Stadion diskutiert. Doch der Fußballverein lehnt das ab.
Die Vorwürfe auf Facebook und Twitter haben gewirkt: Google hat die rechte Karte mit Flüchtlingsunterkünften jetzt endlich unzugänglich gemacht.
Mehr als drei Wochen lang hat sich die Bundeswehr an keiner Seenotrettung im Mittelmeer mehr beteiligt. Dafür bekämpft sie nun Schleuser.
Ein freundliches Mädchen fordert Angela Merkel heraus. Die Botschaft der Kanzlerin: Wir schieben Dich ab. Selten ist Politik so ehrlich.
In zwei Nächten haben Unbekannte auf ein bewohntes Flüchtlingsheim geschossen. Sachsen steht im Zentrum der wachsenden Gewalt gegen Unterkünfte.
In Meißen herrscht nach dem Anschlag eine gespaltene Stimmung. Wer an der Tat beteiligt war, ist noch unklar. Das Haus soll schnell saniert werden.
Der Besitzer der geplanten Flüchtlingsunterkunft in Meißen sagt, er habe im Vorfeld Drohungen erhalten. Die Polizei habe ihn jedoch „an der Tür abserviert“.
Eine Initiative versucht, die Flüchtlinge in Hoyerswerda zu unterstützen. Wären da nicht die Anschläge. Diese Stadt scheint nichts gelernt zu haben.
Im sächsischen Hoyerswerda haben Unbekannte versucht, eine Unterkunft für Asylbewerber anzuzünden. Erst im März gab es den letzten Angriff.
Das Landgericht Lübeck hat einen Nachbarn wegen des Anschlages in Escheburg zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt – mit deutlichen Worten.