taz.de -- Ramelow über Koalitionspolitik der SPD: „Matschie kommt in der Realität an“
Bodo Ramelow, Fraktionschef der Linkspartei in Thüringen, lobt die Dehnungsübungen der SPD, die sich mit der Rolle als Juniorpartner anfreundet.
taz: Herr Ramelow, der Thüringer SPD-Chef Christoph Matschie will 2014 eventuell einen Ministerpräsidenten der Linkspartei mitwählen. 2009 war Rot-Rot-Grün daran gescheitert – die Linkspartei war stärker als die SPD. Was bedeutet das?
Bodo Ramelow: Dass Christoph Matschie in der Realität angekommen ist. 2009 hat die SPD viel an der Ministerpräsidentenfrage festgemacht. Damit hat sich die Sozialdemokratie in Thüringen isoliert und der desolaten, angeschlagenen CDU die Macht gesichert. Die SPD haftet nun mit für die Skandale dieser Landesregierung.
In der SPD in Thüringen und auch in Sachsen fürchten viele, als Juniorpartner der Linkspartei unterzugehen. Verstehen Sie diese Angst?
Ich verstehe, dass die SPD derzeit in der gemeinsamen Regierung mit der Blockpartei CDU unter die Räder kommt. Laut der letzten Umfrage liegt die SPD in Thüringen derzeit bei 14 Prozent.
Thüringen wählt im Herbst 2014. Warum kommt der Richtungswechsel der SPD jetzt?
Weil die Bundes-SPD dabei ist, Tabus abzuräumen. Gerade weil die SPD in Bund mit Angela Merkel regieren will, möchte sie sich neue Möglichkeiten schaffen. Tut sie das nicht, wird sie nur noch Juniorpartner der Union sein. Das soll vermieden werden. Dass Thorsten Schäfer-Gümpel in Hessen eine Große Koalition umschiffen will und über eine Minderheitsregierung nachdenkt, passt in dieses Bild.
Passt Rot-Rot-Grün in Thüringen politisch zusammen?
Wir müssen hier nicht über Kriege der Nato oder Drohneneinsätze entscheiden. Sondern über Abwasserbeiträge, Schulnetzplanungen und die Verwaltungsreform. Da liegt viel im Argen.
2009 hat die Linkspartei nicht darauf beharrt, selbst den Ministerpräsident zu stellen. Gilt das auch 2014 noch?
Ich beharre auf Normalität, mehr nicht. Das heißt, dass die stärkste Partei das Vorschlagsrecht in Sachen Ministerpräsident hat. 2009 habe ich gesagt: Es ist ein gemeinsames Vorschlagsrecht von Linkspartei, SPD und Grünen denkbar. Matschies Reaktion war, dass er Christine Lieberknecht (CDU) zur Ministerpräsidentin gewählt hat.
Also werden Sie dieses Angebot nicht wiederholen?
Ich sehe derzeit keinen Grund, das zu wiederholen. Es ist nicht der Zeitpunkt dafür.
Wie groß sind denn die politischen Schnittmengen zwischen SPD und Linkspartei in der Landespolitik?
Wenn Sie das Wahlprogramm der SPD von 2009 zugrunde legen, gibt es 90 Prozent Übereinstimmung mit unseren Ideen. In der Regierung tut die SPD allerdings weitgehend das Gegenteil. Falls die SPD ihre eigenen Ziele ernst nimmt, kommen wir zusammen.
Geht es um ein rot-rot-grünes Projekt – oder um ein pragmatisches Bündnis?
Landespolitik ist immer pragmatisch. Es geht nicht um große, weltumspannende Fragen, sondern darum, ob es künftig weiter 23 Katastrophenschutzzentren gibt oder nur noch 6. Oder wo die Abgrenzung zwischen Gewässerpflege erster und zweiter Ordnung verläuft. Bundespolitisch ist das unwichtig.
Für die betroffenen Bürger geht es aber darum, ob das Land oder die Kommune für den Schutz ihres Hauses durch Deiche zuständig ist. Das kann entscheidend sein. Ein Drittel aller Kommunen in Thüringen sind nicht mehr in der Lage, einen geordneten Haushalt vorzulegen. Elf Kommunen sind in der Zwangsvollstreckung. Das heißt: Die Gemeinderäte werden faktisch über das Spardiktat entmachtet. Das ist eine fundamentale Entdemokratisierung.
Also nur Reparaturen?
Nein. Thüringen hat derzeit von allen Bundesländern den größten Energieimport. Wir haben nun Eon Thüringen rekommunalisiert. Dieser kommunale Stromanbieter kann das Herzstück einer zu hundert Prozent regenerativen, regional erzeugten Energiewende sein. Daran könnten wir mit Sozialdemokraten und den Grünen zusammenarbeiten.
19 Nov 2013
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Er könnte als erster Linkspartei-Politiker Ministerpräsident werden. Doch auf dem Weg dahin gibt es Hindernisse. Ist eines davon Ramelow selbst?
Die Bilanz von CDU-Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht ist mager. Doch sie tritt am 14. September erneut zur Wahl an. Warum tut sie das?
Gysi und seine Parteikollegen geben sich vor dem Europaparteitag der Linken betont staatstragend. Sie geloben, nicht nur als Anti-SPD zu agieren.
Wenn es möglich ist mit der Traditionskompanie der CDU in Hessen zu regieren, dann geht Schwarz-Grün überall. Mit der SPD muss man kein Mitleid haben.
Ein Verein will im „Vorwärts“ eine Anzeige gegen Kohlestrom schalten. Sie wird abgelehnt. Vattenfall wirbt in der gleichen Ausgabe für Lausitzer Braunkohle.
In Berlin bastelt die große Koalition, in Hessen bastelt noch jeder mit jedem. Welche Verbindung die besten Chancen hat – eine Übersicht.
Es ist die Woche der Entscheidung in Hessen, doch die SPD lässt sich Zeit. Zunächst soll die Parteibasis das Wort haben. CDU und Grüne verhandeln unterdessen weiter.
Bündnisse mit der CDU? Die Grünen-ChefInnen verfallen wieder in Ausschließeritis – und offenbaren ein seltsames Demokratieverständnis.
Das passt CDU und CSU gar nicht: Weil die SPD sich der Linkspartei öffnet, fühlen sich die Konservativen brüskiert. Es handle sich um einen „ungeheuerlichen Vorgang“.
Mehreren Berichten zufolge hat Hessens SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel die Sondierungen mit Grünen und Linkspartei für gescheitert erklärt. Doch dieser dementiert.
Die Berliner SPD ist am Samstag zu einem Landesparteitag zusammengekommen. Eine große Mehrheit sprach sich gegen den Volksentscheid für ein Öko-Stadtwerk aus.
Die Grünen können als marktliberale Ökopartei nur verlieren. Ihnen droht das Schicksal der FDP: das Scheitern an der 5-Prozent-Hürde.
In Hessen kommen die drei Parteien nicht voran. Ein drittes Sondierungstreffen brachte keine Annäherung. Zentrale Streitpunkte sind die Finanzen und der Flughafen Frankfurt.
Seine Partei sei gegenüber Gläubigen zu intolerant, meint Bodo Ramelow. Deshalb hat er gegen das Bundestagswahlprogramm der Linken gestimmt.