taz.de -- Debatte künftige Ausrichtung der Grünen: Im Angesicht des Todes

Die Grünen können als marktliberale Ökopartei nur verlieren. Ihnen droht das Schicksal der FDP: das Scheitern an der 5-Prozent-Hürde.
Bild: Aus dem Gleichgewicht geraten: die alte Grünen-Spitze nach dem Wahldebakel bei der Bundestagswahl im September

Acht Prozent können einen ganz schön aus dem ökologischen Gleichgewicht bringen: Die Debatte um Schwarz-Grün ist Zeugnis einer grünen Identitätskrise in den Reihen der Partei wie auch in der medialen Auseinandersetzung mit der Frage: wohin?

[1][Jan Feddersen hat die Grünen in der taz] dazu aufgefordert, das Umverteilen, die „staatliche Almoserei“ nun der Linkspartei zu überlassen, mit deren „restproletarischer“ Klientel der eigene grüne Freundeskreis eh wenig anzufangen wisse. Grüne sollten sich auf „nichts als öko“ konzentrieren, nicht links, nicht rechts, sondern „vorne“ sein, nicht mehr „schroff“ in Anti-AKW-Manier um Systemfragen kämpfen. Sondern die FDP als Bürgerrechtspartei und Koalitionspartner der CDU beerben. Darauf zu verzichten sei „antipolitisch“. Ich fürchte, dass diese Thesen selbst antipolitische Wirkung entfalten könnten.

Die Umfragewerte der Grünen gingen nach der Ankündigung der Steuerpläne über Wochen kaum zurück. Die grüne Kernklientel zahlt für ökosoziale Zwecke gern etwas mehr, wie beim Einkauf im Bioladen. Kontrovers war der Veggie-Day, der am bürgerlichen Selbstbestimmungsethos rüttelte. In den Keller rutschten die Zahlen erst mit der Pädophiliedebatte, die konservative Grüne verschreckt haben dürfte. Dass gerade die grüne Partei am meisten für Kinder- und Frauenrechte getan hat, ging im defensiven Wahlkampf schließlich unter.

Aber nehmen wir mal an, die Steuerfrage hätte Anteil am grünen Wahldebakel gehabt: Sollte man deshalb die Umwelt- von der Umverteilungsfrage trennen? Nein. Weil das unmöglich ist. Ökologie an sich ist Umverteilung von privaten, öffentlichen und industriellen Ressourcennutzungsrechten zugunsten nachhaltiger Lebens- und Produktionsweisen. Ökologisch umverteilt wird per Tempolimit, Strompreis, Ökosubvention, Produktionsverbot und Rekommunalisierung, durch unliberale, „linke“ Eingriffe in den freien Markt, die einen wirtschaftspolitisch starken Staat voraussetzen.

Neogrüne Formeln wirken naiv

Vor diesem Hintergrund wirken neogrüne Formeln wie „Mit der Wirtschaft arbeiten“ naiv. Es gibt so gut wie kein Großunternehmen, das aus innerer Einsicht heraus ökologisch umgestaltet wurde. In der Logik einer unterregulierten Marktwirtschaft wäre das nämlich ein Nachteil. Natürlich kann grüne Politik einen freundlichen, postklassenkämpferischen Stil anstreben. Aber wenn diplomatische Vermittlungsversuche scheitern, muss sie sich für das ökologische Wohl aller entscheiden und gegen kurzfristige wirtschaftliche Partikularinteressen.

Grüne Politik setzt am einsichtsfähigen Menschen an, muss sich aber mit Teilen des Bürgertums anlegen, die keine Steuererhöhungen wollen. Die freundliche Ökozivilgesellschaft bliebe nämlich sonst, ohne Umverteilung, unter sich. Notwendige Preissteigerungen für ökologisch produzierte Nahrung, Energie oder Kleidung treffen ja vor allem unterprivilegierte Milieus.

Wenn die Grünen aus ihrer bildungsbürgerlichen Wohlfühlecke herauskommen wollen, dann nur mit einer kombinierten Öko- und Gerechtigkeitsperspektive. Qualitatives Wachstum bedeutet weniger materieller Reichtum – und erhöht damit zusätzlich den Gerechtigkeitsdruck.

Die Notwendigkeit der Regulierung wächst mit dem Klimawandel. Wenn wir uns heute gegen Regulierung entscheiden, wird unser Leben morgen viel drastischer reguliert werden: Vielleicht gibt es schon in 30 Jahren streng kontingentierte CO2-Gutscheine für Fleischkonsum, warme Duschen und Verkehrsmittel – wie Essensmarken im Krieg. Auch Klimaflüchtlinge, Ernteausfälle und zu behandelnde Krankheiten müssten dann steuerlich finanziert werden.

So. Und aus diesen ökosozialen Verteilungsproblemen sollen sich ausgerechnet die Grünen heraushalten? Um mit der CDU die absehbaren Folgen der Konsumgesellschaft anzupacken, mit einer Partei, deren Wahlerfolg nicht zuletzt darauf beruht, zu erklären, wie gut es uns geht? Um mit der CDU eine Umstellung auf Ökolandwirtschaft und ÖPNV zu erreichen? Schwer vorstellbar. Deshalb wird für Schwarz-Grün vor allem gesellschaftspolitisch argumentiert, hier hat sich die Union ja liberalisiert (Elterngeld, Wehrpflicht, Homo-Ehe). Die Zukunft der Ökologie aber liegt in der Wirtschafts- und Sozialpolitik.

Mutation zur Öko-FDP

Nun behaupte ich nicht, SPD und Linke seien per se ökologischer als die CDU. Im Zweifel räumen sie Arbeitsplätzen und Wirtschaftswachstum Priorität vor ökologischen Konzepten ein – zum Beispiel in der Kohlefrage. Aber ohne die sozialdemokratischen Parteien ist eine regulative Wirtschafts- und Sozialpolitik kaum durchzusetzen.

Koalitionen handeln Kompromisse aus, um markante Differenzen (etwa in der Europa- und Friedenspolitik) im Rahmen eines Grundkonsenses zu bewältigen. Rot-Rot-Grün hat politisch dabei mindestens so viel gemeinsam wie Rot-Grün oder Schwarz-Gelb. Schwarz-Grün dagegen zeigt weniger politische als kulturelle Schnittmengen. Die grüne Kooperationssehnsucht hat etwas von einer Versöhnung der 68er mit ihren bürgerlichen Eltern, bedingt durch eine Nähe des Lebensstils, die zu proletarischen Milieus nicht besteht. Eine kulturelle Versöhnung, die nachvollziehbar ist.

Eine politische Option bietet sie derzeit aber nicht. Vielmehr hieße die Mutation zur Öko-FDP, der FDP in den 5-Prozent-Tod zu folgen. Denn wenn die Grünen eine Ökologie ohne Umverteilung fordern, geben sie die Ökologie als Alleinstellungsmerkmal faktisch auf. Und die Bürgerrechte gleich mit, die durch ökologische Krisen ebenso gefährdet sind.

Aus der grünen Identitätskrise könnten jedoch zukunftsdidaktische Konzepte à la Robert Jungk helfen: Wie können wir die Folgen unseres heutigen Handelns so verdeutlichen, dass es nicht fatalistisch wirkt und ernst genommen werden kann? Wie wecken wir Fantasie für postmaterialistische Lebensstile, die Veggie-Days, Reichen- und Ökosteuern nicht als persönlichen Verlust, sondern als gesamtgesellschaftlichen Gewinn erscheinen lassen? Das sind die Fragen einer grünen Zukunftswerkstatt.

2 Nov 2013

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Petrik

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