taz.de -- Debatte Scheitern von Rot-Rot-Grün: Keine Vision, nirgends

Stell dir vor, es gibt eine linke Mehrheit und niemand will sie: Fünf Gründe, warum es auch 2013 zu keinem Politikwechsel kommen konnte.
Bild: Bisher noch ziemlich abstrakt: Rot-rot-grüne Zukunftspläne

Die WählerInnen haben sich mit ihren Stimmen für das parteipolitische „crossover“ – die parlamentarische Zusammenarbeit der Parteien links der Mitte – entschieden. Aber haben sie damit auch für eine Politik des sozial-ökologischen Umbaus dieser Gesellschaft gestimmt? Die Frage bleibt offen, weil die Parteien sich anders entschieden haben, weil sie zu einem solchen Politikwechsel jedenfalls im Bund weder willig noch fähig waren, weil sie aktuell schlicht nicht in der Verfassung sind, ein linkes Reformprojekt ernsthaft anzugehen. Nicht zum ersten Mal stehen wir vor einem politischen Umbruch, der möglich ist, aber nicht eintritt.

Die Bundesregierung unter Angela Merkel hat es verstanden, die massiven sozialen Verwerfungen in Europa – hervorgerufen durch eine unter deutscher Aufsicht betriebene Austeritätspolitik – im Wahlkampf vergessen zu machen. Zugleich ist es in den vergangenen Monaten nicht gelungen, einen politischen Gegenentwurf zur konservativ-liberalen Krisenpolitik zu entwickeln: Eine ausgearbeitete und nachvollziehbare linke Alternative war nie in Sicht.

Der so gesehen glückliche Zufall einer numerischen linken Mehrheit im Bund und in Hessen wird daher – wie zuvor schon in einigen Bundesländern – nicht in ein linkes Reformprojekt münden.

Warum aber folgt der gesellschaftspolitischen Notwendigkeit eines Richtungswechsels kein realpolitisches linkes Reform- und Regierungsprojekt? Es gibt mindestens fünf Gründe, weshalb es – zumindest im Bund – bis auf Weiteres nicht zu Rot-Rot-Grün kommen wird.

Erstens: Es fehlt ein gemeinsames linkes Projekt. Was gesellschaftlich auf der Hand liegt, wird nicht konsequent ausgesprochen, geschweige denn kooperativ angegangen: der nötige sozial-ökologische Umbau einer neoliberalisierten und entdemokratisierten Wachstumsgesellschaft. Für dieses politische Megaprojekt fehlen neben einer ausgearbeiteten Programmatik auch die positiven Symbole und nicht zuletzt das politische Personal, um die notwendige gesellschaftliche Zustimmung zu mobilisieren.

Die 2013 beworbene rot-grüne Option ist vor allem eines gewesen: eine notdürftig Neuauflage jener politischen Konstellation, deren erste Fassung linke Reformprojekte im Bund unglaubwürdig gemacht hat.

Zweitens: Merkel und die Medien haben über die wahren Nutznießer der deutschen – und damit europäischen – Krisenpolitik geschwiegen. Das ist schon allein wegen der existenziellen Bedeutung für hunderte Millionen Menschen in Europa skandalös. Nicht weniger bedrückend ist aber die Tatsache, dass die politische Linke dieses konspirative Schweigen nicht zu politisieren vermochte. Das wohl deprimierendste am Wahlkampf war seine nationale Borniertheit.

Wobei der Skandal gewiss nicht darin liegt, dass es den gesellschaftlichen Mehrheiten in Deutschland relativ gut geht. Skandalös ist vielmehr, dass die politisch Verantwortlichen verschweigen, wie die relative Krisenresistenz der deutschen Wirtschaft und die Wohlstandssicherung in Deutschland zu Lasten anderer europäischen Gesellschaften gehen. Und vollkommen inakzeptabel ist es, wenn auch linke Parteien meinen, für die Interessen anderer, für die Idee und eine Politik der internationalen, also europäischen wie globalen Solidarität lasse sich im entpolitisierten Deutschland politisch niemand mehr begeistern.

Drittens: Ohne außerparlamentarische Koalition kein Rot-Rot-Grün. Denn selbst wenn es manche im parlamentarischen Betrieb nicht glauben oder hören wollen: Parteipolitik alleine stößt keinen radikalen gesellschaftlichen Wandel an.

Zwar braucht der Wandel auch parteipolitische Aktivität. Doch eine gesellschaftspolitische Transformation können die Parteien nicht allein inszenieren, sie muss vielmehr von gesellschaftlichen Koalitionen getragen werden: von Akteursnetzwerken in Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbänden, NGOs und Bewegungsszene, Kultur und Wissenschaft.

Die Mehrheit für einen gesellschaftlichen Wandel wird sich dabei nicht nur aus der „Mitte“ rekrutieren. Sie wird sich auch aus den wachsenden „Rändern“ der Gesellschaft speisen. Es bedarf daher einer medialen Öffentlichkeit, die sich auf der Höhe der gesellschaftlichen Herausforderungen und der politischen Auseinandersetzungen befindet. Sofern sie nur Wahlkampfmanövern nachspürt und parteipolitische Marketingstrategien evaluiert, bleibt sie Zeugnis einer fortschreitenden Entdemokratisierung.

Viertens: Wie wichtig es ist, ein Reformprojekt in eine außerparlamentarische Koalition einzubetten, lässt sich auch historisch belegen. Weder die sozial-liberale Wende unter Willy Brandt noch die erste rot-grüne Koalition in Hessen stützte sich auf die „Mitte“. Sie vertrauten auf avancierte gesellschaftliche Milieus. Das Zurückbleiben der Mitte hinter dem politisch Möglichen zeigt, dass die bestehenden Verhältnisse auf Machtökonomien beruhen, die ihre Wurzeln im Alltagsleben haben: Vor allem in der Nötigung, das eigene Überleben eben unter den bestehenden Verhältnissen sichern zu müssen.

Doch so prekär eine Politik links der Mitte auch sein wird und so unstrittig auch ist, dass ein Reformprojekt nur möglich ist, wenn es auch die Unterstützung der Mitte gewinnt: begonnen und eingeleitet wird ein Politikwechsel immer von den Rändern.

Fünftens: „Die Linke“ ist im öffentlichen Diskurs weitgehend marginalisiert, eine rot-rot-grüne Alternative wird stets aufs Neue dämonisiert. In der postdemokratischen Mediengesellschaft ist gegen Halsketten und Handgesten eben kein Habermas gewachsen.

Zugestanden: Die Parteien haben der politischen Glaubwürdigkeit des Parlamentarismus durch ihre politischen Drehungen um sich selbst und um ihr Interessen selbst geschadet. Dennoch kommt gerade nach dieser Wahl niemand um die Einsicht herum, dass es eine sozialökologische Transformation nur mit der Partei „Die Linke“ und nur eingebettet in eine inner- und außerparlamentarische Reformkoalition geben kann.

In diesem Sinne gilt: Nach der Wahl ist vor der Wahl.

27 Oct 2013

AUTOREN

Lessenich
Martiny
Seibert

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