taz.de -- Zwischenbilanz der UN-Millenniumsziele: Endspurt im Kampf gegen die Armut
Im Jahr 2000 formulierten die UN die Ziele, um Armut weltweit zu halbieren – bis 2015. Unsere Korrespondenten berichten über die Fortschritte.
BERLIN taz | Den „erfolgreichsten Schub für die Armutsbekämpfung in der Geschichte“ nannte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon in seiner jüngsten Zwischenbilanz vor einigen Monaten die UN-Millenniumsziele.
Auf der 55. UN-Generalversammlung, 2000 in New York hatten sich 189 Staatschefs auf die globalen Aufgaben für das neue Jahrtausend geeinigt. Anders als bei vielen anderen Gipfeln formulierten sie eine Maßnahmenkatalog mit konkreten Ziel- und Zeitvorgaben, um die Armut in der Welt bis zum Jahr 2015 zu halbieren. Teils richteten sich die Vorgaben an die Entwicklungs-, teils an die Industrieländer.
Noch knapp zwei Jahre bleiben den Geber- und den Entwicklungsländern, um diesen Zielen näher zu kommen. Schon lange ist klar: Viele der differenzierten Vorsätze werden verfehlt.
Ban Ki Moons Fazit bezieht sich vor allem darauf, dass die Zahl der extrem Armen in Entwicklungsländern um fast eine Milliarde stark gesunken ist. Doch noch immer gibt es 1,2 Milliarden Menschen auf der Welt, die von weniger als 1,25 Dollar bis 1,5 Dollar am Tag leben müssen – das sind die gebräuchlichsten statistischen Maße für extreme Armut. Der Rückgang wird jedoch durch die seit 1990 teils extrem gestiegenen Lebensmittelpreise gewissermaßen aufgefressen: Denn im Laufe der sogenannten Millenniumsdekade sind die Kosten für Nahrungsmittel nach Angaben der Welternährungsorganisation um 140 Prozent gestiegen.
2,6 Millionen Kinder sterben an Unterernährung
Grund dafür ist auch, dass Hunderte Millionen Arme in den Schwellenländern in die Mittelschicht aufgestiegen sind. Ihre Nachfrage ließ die Preise steigen. Viele Menschen, die heute nicht mehr „extrem arm“ sind, können sich von ihrem Geld deutlich weniger kaufen als früher – und sind es deshalb womöglich doch.
Auch dies ist ein Grund dafür, dass noch immer etwa 1,8 Milliarden Menschen unterernährt sind und etwa 890 Millionen hungern. Diese Zahl ist während der Millenniumsdekade vergleichsweise stabil geblieben. Vor dem Hintergrund der schnell wachsenden Weltbevölkerung wird dies vielfach positiv gewertet. Tatsächlich ist es ein unhaltbarer Zustand: Noch immer sterben mehr Menschen jährlich an Hunger, als an Aids, Malaria und Tuberkulose zusammen, noch immer tötet Unterernährung jedes Jahr 2,6 Millionen Kinder.
Je näher das Jahr 2015 rückt, desto heftiger wird nun darüber debattiert, wie die Zukunft der Armutsbekämpfung aussehen soll. Zwischen den Geber- und den Nehmerländern ist ein Streit darüber entbrannt, wie verbindlich die Ziele formuliert werden. Denn noch immer halten die Geberländer ihre Zusagen nicht ein. Umstritten ist aber auch, was künftig als gemeinsames Ziel gelten kann: Während Institutionen wie die Weltbank sich vornehmen wollen, die „extreme Armut“ bis 2030 aus der Welt zu schaffen, hält etwa die Afrikanische Union dies für einen Affront. Sie will als Ziel festschreiben, die Armut ganz und gar auszurotten.
Keine nackten Indikatoren mehr
Vor allem Organisationen und Wissenschaftler im Süden der Erde beklagen, dass bislang keine Rechenschaft über Armutsbekämpfung abgelegt werden muss – und trotz Wirtschaftswachstum das Niveau der öffentlichen Ausgaben und Steuereinnahmen oft gesunken ist. Die Finanzkrisen der Vergangenheit trafen den Süden der Erde mit besonderer Wucht – dagegen fordern diese Länder besseren Schutz.
Klar scheint: Die Zeit der nackten Indikatoren ist vorbei. Umweltschutz, ökologische Nachhaltigkeit, ein ganzheitlicher Entwicklungsbegriff und verbindliche Rechte sind die Stichworte, um die sich die Debatte für die Post-2015-Agenda dreht.
Kurz vor Ablauf der laufenden Dekade stellt die taz auf dieser Seite den Stand der Umsetzung der wichtigsten UN-Ziele vor. Die Karten geben Auskunft darüber, welche Länder im Süden der Erde Fortschritte gemacht haben und welche nicht. Schlaglichtartig berichten Korrespondenten aus je einem Land mit einer positiven und einer negativen Bilanz.
28 Feb 2014
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Die EU feiert sich für ihre Erfolge in der Bekämpfung der Armut. Bei der Finanzierung knausern viele Staaten. Dabei käme es jetzt drauf an.
Die Kreditvergabe für Projekte, die Natur und Menschen schaden, soll einfacher werden. NGOs befürchten desaströse Folgen.
Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika gründen eine Alternative zu IWF und Weltbank. Wirklich weiter hilft ihnen das nicht.
City-Räder, Schwimmbäder im Hafen, Bio-Hotdogs – die dänische Hauptstadt könnte bis 2025 die erste CO2-neutrale Metropole der Welt werden.
Über Umweltschutz wird neu diskutiert – und dabei auch die Verbindung hergestellt zwischen Burnout und der Ausbeutung der Erde.
Vermutet wird es schon länger, dass sich die Malaria infolge des Klimawandels ins Hochland ausbreitet, sagt der Tropenmediziner Frank Mockenhaupt von der Charité.
Eine Zwischenbilanz der UN-Ziele zeigt, dass die Armen immer noch keine Rechte haben. Das wird sich nur mit Zwangsmaßnahmen ändern.
Bis 2015 soll der Anteil der hungernden Menschen halbiert werden. Der Kongo ist erfolgreich, weil die Elite dabei mitverdient. In der DR Kongo hat der Krieg viel zerstört.
Bis 2015 sollen weltweit alle Kinder eine Grundschule besuchen. Chile hat Erfolg – auch wegen Schülerprotesten, in Tadschikistan hat sich seit 2001 nichts getan.
Auf allen Bildungsebenen sollen Frauen und Mädchen bis 2015 gleichgestellt sein. In Bangladesch helfen NGOs nach, Afghanistan steht weltweit am schlechtesten da.
Die Kindersterblichkeit bei unter Fünfjährigen soll bis 2015 um zwei Drittel sinken. Ägypten setzte erfolgreich auf besseren Impfschutz, im Tschad hat das Militär Vorrang.
Bis 2015 soll die Zahl der Mütter, die bei Schwangerschaft oder Geburt sterben, um drei Viertel sinken. In Laos hat sich viel getan, aber in der Elfenbeinküste fehlt Personal.
Bis 2015 soll die Ausbreitung von HIV/AIDS gestoppt werden. In Ruanda gibt es kostenlose Aidsmedikamente, in Swasiland ist noch immer jede vierte Person HIV-positiv.
Der Anteil der Menschen, der 1990 in Armut lebten, soll bis 2015 halbiert werden. China ist es gelungen, dank Industrialisierung. Nigeria nicht, trotz Öleinnahmen.