taz.de -- Kommentar UN-Milleniumsziele: Die alltägliche Katastrophe
Eine Zwischenbilanz der UN-Ziele zeigt, dass die Armen immer noch keine Rechte haben. Das wird sich nur mit Zwangsmaßnahmen ändern.
Kein Krieg, keine Krankheit ist so tödlich. Nichts auf der Welt verursacht so viel menschliches Leid wie die Armut. Und nirgendwo gibt es ein vergleichbares Auseinanderklaffen zwischen dem Ausmaß des Problems und der öffentlichen Erregungskurve – denn die liegt schon lange praktisch auf der Nulllinie.
Über Hunger und Armut zu sprechen ist aus der Mode gekommen wie kaum etwas anderes. Die Armut wird hingenommen, als gehöre sie zur Welt dazu. Doch das tut sie nicht. Es sind nicht Dürren oder Bakterien, sogenannte Überbevölkerung oder Naturkatastrophen, die Millionen dahinraffen.
Es ist die Art, wie die Welt eingerichtet ist.
Noch nie war die Menschheit in der Lage, mehr Nahrung herzustellen und mehr Krankheiten zu behandeln als heute. Auch wenn die UN-Ziele problematisch gesetzt waren und obwohl Lebensmittelspekulationen und Landraub, Korruption, Kriege, Sozialabbau, wirtschaftliche Interessen und Verschuldung die Armutsbekämpfung behindern: Die Millenniumsdekade zeigt, dass Fortschritte möglich sind.
Doch Arme haben keine Lobby – auch nicht in Deutschland. Von der vor langer Zeit von den Industriestaaten abgegebenen Selbstverpflichtung, 0,7 Prozent ihres Bruttosozialprodukts für Entwicklungshilfe zur Verfügung zu stellen, ist die Bundesregierung weit entfernt: Derzeit sind es gerade 0,38 Prozent.
Dass Deutschland seine Verpflichtung ebenso wenig erfüllt wie andere Länder, hat einen einfachen Grund: Die Armen haben keine Rechte, es drohen keine Sanktionen. Das ist es, was die heute diskutierte Agenda für die Entwicklungsdekade ab 2015 ändern muss: Die Staaten im Norden wie im Süden der Erde müssen einklagbar gezwungen werden, ihren Teil zur Verringerung der Armut beizutragen.
1 Mar 2014
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