taz.de -- Professorin über Gender-Studies: „Es wird versucht, uns in eine Krise zu bringen“
Die Geschlechterforschung steht unter massivem politischen Beschuss. Nicht nur in den USA sei die Disziplin gefährdet, sagt Professorin Tina Spies.
taz: Frau Spies, sind Gender-Studies nur eine Ideologie?
Tina Spies: Das ist natürlich Quatsch. Durch die Evaluation der Gender-Studies vom Wissenschaftsrat 2022 ist das auch sehr deutlich gezeigt worden. Diese Evaluation kann als eine Reaktion auf genau diese Vorwürfe der AfD und anderer rechtsorientierter Parteien gelesen werden. Das hat schlussendlich dazu geführt, dass die Gender-Studies gestärkt wurden, weil dadurch unterstrichen wurde, dass es eben keine Ideologie, sondern Wissenschaft ist, die wir betreiben. Ich glaube aber, dass wir das auch immer wieder deutlich machen müssen.
taz: Wie kann das aussehen?
Spies: Vielleicht ein kleines Beispiel: Von der Sektion Frauen und Geschlechterforschung in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie planen wir in Kooperation mit der Sektion Soziologische Theorie Anfang nächsten Jahres eine Tagung, bei der wir zeigen wollen, welche theoretischen Impulse für die soziologische Theorie aus der Geschlechterforschung kommen.
taz: Warum sollte man sich mit Geschlecht und Gender auseinandersetzen?
Spies: Weil Gender nach wie vor eine zentrale Dimension sozialer Ungleichheit ist. Über den Gender-Pay-Gap sprechen wir schon lange. Aber es geht eben auch um Ungleichheiten in der Betreuung und Sorgearbeit. Darüber hinaus gibt es einen Einkommens- und Vermögens-Gap, wenn es beispielsweise um die Rente und die Altersversorgung geht. Neben den wirtschaftlichen Aspekten haben wir [1][auch einen Gender-Gap in der Medizin]. Das sehen wir daran, dass Frauengesundheit noch immer weitgehend unerforscht ist und es hier noch große Bildungslücken gibt. Gleichzeitig ist Gender und Geschlecht immer ein Querschnittsthema, das unterschiedlichste Lebensbereiche beeinflusst.
taz: In den USA steht Ihre Disziplin unter enormem finanziellen und politischen Druck.
Spies: Die Situation in den USA ist schwierig und absolut nicht vorhersehbar, weil Trumps Politik so unvorhersehbar ist. Das muss für uns in Deutschland und die anderen europäischen Länder ein absolutes Warnsignal sein. Wir müssen sehen, wo wir uns solidarisieren und gemeinsam Maßnahmen verankern – an den Universitäten, aber auch in Betrieben und Institutionen.
taz: Erkennen Sie ähnliche Entwicklungen in Deutschland?
Spies: Ja, absolut. Wir sehen die Gefahr im Erstarken der AfD. Vor allem in den Ländern, in denen sie zumindest eine Sperrminorität hat. Dass die AfD künftig an Regierungen beteiligt sein könnte, halte ich für realistisch. Deshalb müssen wir uns Gedanken machen, was das für zukünftige Projekte heißen wird. Gibt es auch weiterhin eine Förderung von Gender-Projekten? Gibt es Gelder für Professuren, die Genderlehre und Forschung? Gleichzeitig gilt dies nicht nur für die Gender Studies, sondern auch für andere Disziplinen und Fachrichtungen. Auch das sehen wir in den USA.
taz: Herrscht diese Krise auch innerhalb der Disziplin?
Spies: Ich glaube nicht, dass die Gender-Studies in einer Krise sind – es wird versucht, uns in eine Krise zu bringen. Innerhalb der Disziplin findet viel Austausch statt. Es gibt Überlegungen, wie genau man sich gegen mögliche politische Einflüsse zur Wehr setzen kann und wie im Vorhinein Maßnahmen ergriffen werden können, um es überhaupt nicht soweit kommen zu lassen.
taz: Haben die Gender-Studies eine Zukunft?
Spies: Ganz unabhängig von politischen Entscheidungen lässt sich das nicht vorhersehen. Aber wir leben nach wie vor in einer Demokratie. Wir haben Professuren mit einer Denomination, die ihnen nicht einfach weggenommen werden kann. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir ohne Gender-Studies nicht auskommen werden. Solange wir über Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern in unterschiedlichsten Bereichen sprechen, werden Gender-Studies nötig sein.
22 Jul 2025
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