taz.de -- Sparpläne des Senats: Berlins Kulturkürzungen sind kostspielig für uns alle

Unsere Autorin ist seit 40 Jahren Schriftstellerin in Berlin und hat schon einige Sparrunden mitgemacht. Die neuesten Pläne machen sie fassungslos.
Bild: Wehren sich gegen die geplanten Kürzungen: Kulturschaffende in Berlin

Es gab Zeiten, da hieß es selbst unter Linken in Berlin, es sei besser, wenn das Kulturressort im Berliner Senat jemand von der CDU leitet, [1][als es der SPD zu überlassen]. Diese Annahme ist spätestens seit vergangener Woche überholt, als die Liste der Sparvorgaben für den Haushalt des Landes Berlin 2025 bekannt wurde. 11,6 Prozent muss die Kultur sparen, rund 130 Millionen Euro soll sie weniger bekommen. Das ist überdurchschnittlich viel im Vergleich zu anderen Ressorts, und das bei einem Etat, der gerade einmal 2,1 Prozent des Gesamthaushalts ausmacht. Viel lässt sich dabei nicht herausholen, aber jede Menge kaputtmachen. Denn 8,2 Prozent der Erwerbstätigen in Berlin – bundesweit sind es 2,9 Prozent – üben einen Kulturberuf aus. Viele von ihnen freischaffend, also meist prekär.

Bekannt wurde auch, dass die Kürzungen im Wesentlichen von zwei Männern mit Namen Heiko Melzer (CDU) und Torsten Schneider (SPD) ausbaldowert wurden, den parlamentarischen Geschäftsführern der Koalition. Das klingt jetzt nicht so demokratisch, aber es gab ja eine Art Restvertrauen, dass Berlins Kultursenator Joe Chialo mit der geballten Expertise der Kulturverwaltung sinnlose Ad-hoc-Streichungen einkassiert. Oder aber eine Idee entwickelt, wie sich durch Bündelung und Austausch von Ressourcen nachhaltig sparen lässt, ehe im Abgeordnetenhaus [2][abgestimmt wird]. Chialo hat uns enttäuscht.

Ich bin seit 40 Jahren Schriftstellerin in Berlin und habe schon einige Sparrunden mitgemacht. 2001 sprach der damalige Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit davon, dass Berlin sparen muss, „bis es quietscht“. Heute sagt Chialo der FAZ: „Der Sparmuskel muss jetzt angezogen werden.“ Ich frage mich, ob der Sparmuskel eine Art Schließmuskel sein soll, der erst aufgeht, wenn alle kostenverursachenden Kulturangebote kurz und klein verdaut sind.

Und was passiert, wenn man loslässt? Bleiben dann neben der ganzen Scheiße noch ein paar Immobilien in bester Lage übrig, die sich gewinnbringend vermarkten lassen? Die Volksbühne etwa könnte die nächsten Jahre en suite „Kill your Darlings“ spielen. Mit nur einem bezahlten Gast, der Rest unbezahlte Praktikant*innen, der Wagen der Courage wird von BMW gesponsert.

Joe Chialo hat in der FAZ behauptet, es habe 20 Jahre keine Kürzungen gegeben. Für die Literatur stimmt das beispielsweise nicht. Die hat von 1999 bis 2016 mit eingefrorenen Budgets arbeiten müssen, mit kumulierter Inflationsrate entsprach das einer Kürzung um 25 Prozent. Dass das nach 2017 nach oben korrigiert wurde, war nicht viel mehr als ein Inflationsausgleich. Auch aus diesem Grund werden die meisten Autor*innen im Alter auf eine Grundsicherung angewiesen sein, die den Sozialetat belastet. Künftig werden wohl noch mehr Kulturschaffende auf staatliche Unterstützung angewiesen sein. Ein Minusgeschäft.

Joe Chialo holt dieselben Requisiten aus der neoliberalen Trickkiste, mit denen schon der frühere Finanzsenator Thilo Sarrazin gescheitert ist („Public Private Partnership“). Theater sollen kreditfinanziert werden. Wir Freiberufler*innen sollen mehr Eigenverantwortung übernehmen, als würden wir das nicht jeden Tag tun in Form von Selbstausbeutung. Schaut man sich die Sparliste an, wird schnell klar, worum es der Koalition eigentlich geht. Gerade Projekte und Orte, [3][die sich Antidiskriminierung, kultureller Bildung, Kollektivarbeit, Diversität, Inklusion und Migration] verschrieben haben, sind stark von Kürzungen betroffen, einschließlich des Verlusts der an den Arbeitsplatz gebundenen Aufenthaltsgenehmigung. Subventionierte Kultur droht zukünftig kleinbürgerlich, piefig, national-provinziell und zugleich elitär zu werden, weil ja auch die niedrigschwelligen Angebote wegfallen. Die AfD kann applaudieren.

Was jetzt hilft, ist, sich nicht gegeneinander ausspielen zu lassen. Berlin ist nur der Anfang. Wie wär’s mit einem Generalstreik aller Kulturinstitutionen und Freischaffenden? Wir könnten den Verkehr mit dem geballten Potenzial „unnützer“ Kunst stilllegen. Analog zum weggestrichenen Kulturaktionstag „Berlin sagt Danke“ könnten wir „Danke, Berlin“ sagen. Aber da die Politik Ironie schwer versteht, wäre wohl „Fuck you, Berlin“ aussagekräftiger.

29 Nov 2024

LINKS

[1] /Berliner-SPD-ist-die-Kultur-egal-/!6048500
[2] /Streichliste-geht-ins-Abgeordnetenhaus/!6048481
[3] /Berlin-spart-an-der-Kultur/!6048501

AUTOREN

Annett Gröschner

TAGS

Kolumne Starke Gefühle
wochentaz
Kulturpolitik
Berlin
Haushalt
Kürzungen
Social-Auswahl
Kolumne Diskurspogo
Kulturpolitik
Bibliotheken
Stiftung Preußischer Kulturbesitz
Berlin
Theater
Berliner Volksbühne
Kulturpolitik
Kolumne Diskurspogo
Berliner KünstlerInnen
Joe Chialo

ARTIKEL ZUM THEMA

Konservative Wende in der Kulturpolitik: Jetzt zeigt sich, wer Diversität ernst meint

Der politische Wind dreht sich und als Erstes müssen marginalisierte Gruppen daran glauben. War Vielfalt in Kultur und Medien nur ein Marketingtrick?

Klaus Wowereit wird Kulturstaatsminister: Ein guter Move?

Die Entscheidung für Wowereit ist eine faustdicke Überraschung. Offenbar will Merz damit sein provinzielles Sauerland-Image endgültig loswerden.

Nacht der Bibliotheken kommt nach Berlin: Berliner Bibliotheken geben alles

Zum ersten Mal gibt es eine bundesweite Nacht der Bibliotheken. In Berlin ist man trotz der Millionenkürzungen durch den Senat guter Stimmung.

Geldsegen für Museen: Selbst Berlin hilft der Kultur

Am Mittwoch unterschrieben Bund und Länder 12 Millionen Euro zusätzliche Förderung für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Danach wurde gefeiert.

Berliner Kultur von Kürzungen bedroht: Was wird aus Berlin, wenn der kulturelle Humus vertrocknet?

Der Berliner Senat will den Kulturetat drastisch kürzen. Wir haben an sieben Tagen sieben Hotspots der Kulturmetropole besucht. Ein Stimmungsbild.

Demenzkranke spielen Theater: „Der Tod ist unser ungeliebter Mitspieler“

Das Theaterensemble Papillons hat seine Spielstätte in einem Pflegewohnheim. Hier machen Kinder und Jugendliche zusammen mit alten Menschen Theater.

Protest an der Berliner Volksbühne: Theater der verpassten Chancen

Das Theaterduo Vinge und Müller sagt die Intendanz der Volksbühne ab, auch wegen der Etatkürzungen. Zeit, dass Kultursenator Joe Chialo handelt.

Kulturkürzungen in München: München leuchtet nicht mehr

Auch Bayerns Hauptstadt muss sparen. Die dortige Kulturszene ist alarmiert: Schon bald könnte die Stadt ihre kulturelle Strahlkraft einbüßen.

Ausschluss von Migrant*innen: Ein Senat, der Berlin und seine Kultur nicht mag

Ausgerechnet bei der Diversitätsförderung in der Kultur wird nun gestrichen. Gebildete Migrant*innen im Theaterfoyer passen nicht ins Bild der CDU.

Berlin spart an der Kultur: Grob fahrlässig

Um 11,6 Prozent soll der Kulturetat im nächsten Jahr gekürzt werden. Was die Sparpläne der schwarz-roten Koalition konkret bedeuten würden.

Kürzungen im Berliner Landeshaushalt: Kultursenator soll die Bühne verlassen

Der Berliner Kulturetat soll massiv gekürzt werden. Im Berliner Abgeordnetenhaus drängt die Opposition Joe Chialo (CDU) zum Rücktritt.