taz.de -- Die AfD beim Kirchentag: Für Christen zu rechts?

Gegen die Einladung einer AfDlerin regt sich Protest. Sollten Christen mit Rechtspopulisten diskutieren? Ein Pro & Contra
Bild: Dürfen die zum Kirchentag?

Pro

Die große Zahl der AfD-Befürworter ist beunruhigend. Doch der „zurückgelassene“ Wutbürger möchte ins Gespräch kommen. Im Gespräch gilt es die Argumentationsstruktur, Ideologie oder Illusionen zu erkennen, zuzuhören, sich mit guten Argumenten (oder Alternativen zur Alternative) zu positionieren. Vielleicht wäre ja möglich, was naiv klingt: ein paar AfDler mit Fakten und kritischen Fragen wieder mehr zur Mitte zu bewegen.

„Ich habe die Hoffnung, dass wir trotz kontroverser Ansichten offen miteinander reden können“, sagt die Bundessprecherin der „Christen in der AfD“ Anette Schultner im Tagesspiegel im Ausblick auf ihren Podiumsbesuch im Rahmen des Kirchentags. Dessen Motto ist: „Du siehst mich“.

Kirchentagspräsidentin Christina Aus der Au ist eine überparteiliche Gastgeberin und möchte statt über mit der AfD diskutieren. Auch einander in die Augen schauen, getreu dem Kirchentagsmotto.

Doch dabei sollte es nicht bleiben. Man sollte die AfD fragen, was sie gegen Feminismus, Migranten und Flüchtlinge hat. Man sollte ihnen Bilder und Filme vorführen von Krieg und Flucht und Kämpfen; das Elend wirklich zeigen.

Die AfD braucht lebendige Schicksale statt imaginäre Vorurteile und soll in der Person Schultner zeigen, dass sie der schwangeren Maria und ihrem Josef die Tür vor der Nase zuknallen würden.

Man sollte rauskriegen, wie viel Christin Frau Schultner ist, wie viel christliches Mitgefühl sie öffentlich heuchelt, unter ihresgleichen. Und darum ist es richtig, die AfD einzuladen.

Im Jahr 2013 hat sich die Partei in Berlin gegründet, mittlerweile hat sie über 25.000 Mitglieder und bei Facebook rund 323.000 „Fans“. Damit AfD-Anhänger, die sich auch für eine Bewegung halten, nicht verloren gehen, müssen sie zum Kirchentag kommen, der für alle offen sein soll. Schließlich, so haben wir es im Bibelunterricht gelernt, ist Jesus doch der „gute Hirte“, der auch kein hellblaues Schaf zurücklässt.

Die AfD sitzt mittlerweile in 13 Landesparlamenten, sie ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Statt angewidert wegzuschauen und zum Boykott aufzurufen, müssen wir ins Gespräch kommen, um Schlimmeres zu verhindern. Linda Rustemeier

Contra

Die AfD muss öffentlich demaskiert werden, klar. Der Evangelische Kirchentag ist dazu aber nicht der richtige Ort. Das zeigt schon ein Blick auf die Diskussionsrunde, an der die AfD-Funktionärin Anette Schultner teilnehmen wird. Die Veranstaltung mit dem Titel „Christen in der AfD“ verspricht keine kontroverse Debatte. Normalisierung statt Demaskierung scheint die Devise zu sein.

Doch die AfD ist keine Partei wie jede andere. Fundamental widerspricht sie den Werten, die auf Kirchentagen gelebt werden: Toleranz. Nächstenliebe. Weltoffenheit. Begriffe, für die die AfD nicht steht. Sie will Hilfsbedürftige abschieben, das Kirchenasyl abschaffen und Europa abschaffen. Sie duldet Klimawandelleugner, Geschichtsrevisionisten und Antisemiten in ihren Reihen. Ihr im Wahljahr auf dem von Hunderttausenden besuchten Protestantentreffen ein Podium zu bieten, ist deshalb ein fatales Signal.

Zugleich ist es ein Affront gegen alle engagierten Gläubigen. Angesprochen auf die christliche Flüchtlingshilfe, spricht Parteichefin Frauke Petry von „modernem Ablasshandel“. Gleichzeitig wirft der AfD-Vorsitzende in Bayern den Kirchen ein Milliardengeschäft mit der Flüchtlingskrise vor. Auf dem letzten Bundesparteitag rief der Landeschef der niedersächsischen AfD zur Abschaffung der Kirchensteuer auf, während tausende Christen gegen die Versammlung demonstrierten. Mit Blick auf die Glaubensgemeinschaft forderte er: „In dem Verein sollte keiner von uns mehr Mitglied sein.“ Ja, die Kirche als Institution sollte stets überparteilich sein, aber bitte doch nicht unpolitisch!

Die Geschichte lehrt uns das. Eine Initiative sammelte deshalb Unterschriften für die Ausladung von AfD-Politikerin Anette Schultner. Während die Rechspopulistin ihre Teilnahme als politischen Sieg feiert, fordern die Initiatoren ein klares Bekenntnis: Die AfD ist keine Alternative für Christen.

Im letzten Jahr hat sich der Zentralrat der Katholiken diesem Motto verpflichtet und die Partei vom Katholikentag im Leipzig ausgeschlossen. Der evangelische Kirchenrat sollte diesem Schritt folgen. Ganz im Sinne der in den kommenden Tagen gelebten ökumenischen Bewegung. David Gutensohn

24 May 2017

AUTOREN

Linda Rustemeier
David Gutensohn

TAGS

Schwerpunkt AfD
Rechtspopulismus
Christen
Kirchentag 2023
Offene Gesellschaft
Schwerpunkt AfD
Schwerpunkt taz Leipzig
Atheismus
Homosexualität
Schwerpunkt AfD
Religion
Religion
Berlin
Schwerpunkt AfD
Barack Obama
Einblick
Kirchentag 2023
Religion
Geht's noch?
Michael Müller

ARTIKEL ZUM THEMA

Kommentar AfD beim Katholikentag: Eine Frage der Realitäten

Zum Laienfest der Katholiken im Mai in Münster ist auch ein AfD-Politiker eingeladen. Dagegen erhebt sich Protest. Er ist gerechtfertigt – und doch falsch.

Umstrittene Podiumsdiskussion: Katholikentag steht zu AfD-Einladung

Der Katholikentag hält an einer Veranstaltung fest, zu der auch ein Vertreter der AfD erwartet wird. Eine Theologen-Initiative warnt vor „Normalisierung“.

Wohnungssuche bei Geflohenen in Leipzig: Wo Linke und Kirchen sich treffen

Für Geflüchtete ist es besonders schwer, eine Wohnung zu finden. Das Leipziger Patenprogramm „Kontaktstelle Wohnen“ baut Brücken zu Vermietern.

Berlin, die Hauptstadt der Ungläubigen: Ach Gottchen!

Trotz des Gedrängels beim Kirchentag: Mit Kirche hat man sonst in Berlin, der atheistische Hauptstadt Europas, nicht viel zu tun. Warum?

Kolumne Kreuz + Queer: Gott liebt auch Twinks

Wie queer ist der Evangelische Kirchentag – jenseits vom „Zentrum Regenbogen“? Bunte Vielfalt, Provokation, ja, das geht, findet aber kaum statt.

AfDlerin beim Kirchentag: „Und wie viele Nazis gibt’s hier?“

Wenn der Bischof mit der Rechtspopulistin diskutiert: Die AfD-Politikerin Anette Schultner war zum Kirchentag geladen.

Berlin im Obama-Fieber: „Yes we can“ trifft „Wir schaffen das“

70.000 Menschen wollen den ehemaligen US-Präsidenten am Brandenburger Tor reden hören. Auch Kanzlerin Merkel ist dabei.

US-Pastorin zum Kirchentag: „Wann habt ihr eigentlich Spaß?“

Sie hat Tattoos und setzt sich für Außenseiter ein. Die amerikanische Pfarrerin Nadia Bolz-Weber über Luther, den Kirchentag und Donald Trump.

Eröffnungsabend des Kirchentags: Gott, Gesang und ein nackter Luther

Bauerntöchter, Gemüsedöner, Pop. 200.000 Menschen feiern den „Abend der Begegnungen“ zum Auftakt. Protest gibt es auch.

Darf die Bundesregierung das?: Gegen die AfD polemisieren

Wissenschaftsministerin Johanna Wanka hat der AfD die „rote Karte“ gezeigt. In Karlsruhe rechtfertigt sie das mit einem „Recht auf Gegenschlag“.

Programm des Kirchentags in Berlin: Jesus!

500 Veranstaltungen, weiträumige Sperrungen in der Innenstadt, strenge Sicherheitsvorkehrungen – das ist los am Kirchentag.

Ausstellungsempfehlung für Berlin: Im Dreieck aus Nähe und Distanz

Monika Jarecka zeigt Malerei im Raum und auf Leinwand in der galerie weisser elefant. Die taz sprach mit der Künstlerin.

Alternative zum Kirchentag: „Wir denken, dass Streit nötig ist“

Jörg Machel bietet mit seiner Gemeinde ein alternatives Programm zum Kirchentag an. Der offizielle „Mainstream“ brauche kontroverse Ergänzungen, findet der Kreuzberger Pfarrer.

Pfarrerin für 19 Dörfer in Brandenburg: Auf sehr weitem Raum

In Brandenburg sind neunzehn Dörfer zu einer Riesengemeinde zusammengefasst worden. Kann man da seine Schäfchen beisammen halten?

Kolumne Geht’s noch?: Nie wieder Rock ’n’ Roll

Barack Obama kommt zum Kirchentag. Ja, genau der Obama. Dieser Präsident, der mal richtig cool war. Damit ist es nun vorbei.

Zuschuss zum Kirchentag: Rechentricks in Gottes Namen

Der Senat fördert den Kirchentag üppig und verweist auf millionenschwere Umsätze für die Berliner Wirtschaft. Leider geht die Rechnung nicht auf.