taz.de -- Kommentar Racial Profiling in Köln: „Nafris“ zählen für Anfänger
Die Kölner Polizei gibt zu, dass sie bei ihren „Nafri“-Kontrollen kaum Nordafrikaner erfasst hat. War es Inkompetenz oder Rassismus?
Warum fuhren eigentlich so viele Nordafrikaner zu Silvester nach Köln? Um dieses Mysterium aufzuklären, hat die Kölner Polizei extra eine [1][Sonderkommission] gegründet. Die dürfte nun endlich ihre Antwort gefunden haben. Und sie lautet: Die vielen Nordafrikaner gab es nicht. Die Zahlen der Kölner Polizei zeigen nun: Von den [2][674 Menschen], die Silvester kontrolliert wurden, sind gerade einmal 30 aus Algerien und Marokko, also aus dem nordafrikanischen Raum. Und auch die Bundespolizei, die kurz nach Silvester von [3][„98 Prozent“] Nordafrikanern unter 650 Kontrollierten sprach, kann gerade einmal 39 Menschen von dort präsentieren.
Der viel größere Teil derer, deren Nationalitäten bekannt sind, kamen aus dem Irak, aus Syrien, aus Deutschland und aus Afghanistan. Die Frage ist nun: Wissen deutsche Polizisten nicht, dass Bagdad, Damaskus und Kabul nicht in Afrika liegen? Oder wissen sie nicht, was Begriffe wie „viele“, „Mehrheit“ oder „98 Prozent“ bedeuten? Oder: Ist es ihnen egal? Für Menschen, die an den Rechtsstaat glauben und Vertrauen in deutsche Behörden haben, gibt es darauf keine gute Antwort. Denn entweder sind die Kölner Polizei und die Bundespolizei inkompetent oder sie sind rassistisch.
Warum soll man dieser Polizei noch vertrauen? Diese Polizei, die es vor einem Jahr nicht schaffte, sich gegen aggressive Jungmänner durchzusetzen und sexualisierte Gewalt zu verhindern; diese Polizei, die dieses Jahr die Grundrechte von Menschen mit den Füßen trat, um angeblich für Recht und Ordnung zu sorgen. Diese Polizei, die letztes Jahr von einer [4][„ruhigen Nacht“] sprach und dieses Jahr die Eingekesselten auf [5][Twitter ausstellte] und sie als „Nafris“ (je nach Laune der Polizei kurz für „Nordafrikaner“ oder „nordafrikanische Intensivtäter“) betitelte – obwohl sie weder Intensivtäter noch Nordafrikaner waren.
Die letzten Zweifel, dass es sich bei dem, was die Polizei tat, um „Racial Profiling“ gehandelt hat, dürften nach ihrer eigenen Auswertung nun verflogen sein. Wenn Kontrollen nach „nordafrikanischen Intensivtätern“ nicht nur keine Intensivtäter zum Vorschein bringen, sondern nicht einmal Nordafrikaner und stattdessen sogar Deutsche – dann dürfte klar sein, dass die Polizei kein republikanisches Verständnis von „Deutschen“ und „Nordafrikanern“ hat, sondern ein rassistisches. Und wenn die Polizei nun sagt, sie habe 674 Menschen 2.500 Mal überprüft (also jede Person durschnittlich vier Mal) dürfte deutlich sein, dass sie entgegen ihrer Behauptungen ihr „Klientel“ nicht kennt.
Ein Fall für die Fake-News-Gruppe
Es ist nun wirklich Zeit anzuzweifeln, dass diese Kontrollen überhaupt etwas gebracht haben. Hätte ohne sie eine Wiederholung der Silvesternacht 2015 stattgefunden? Wir wissen es nicht. Wir wissen nur, dass es diese Kontrollen gab und keine Vielzahl sexueller Übergriffe. Aber Koinzidenz bedeutet nicht Kausalität. Hätte es ohne die Kontrollen die Übergriffe gegeben? Wenn die Polizei das meint, soll sie ihre Ansicht belegen und begründen. Doch je mehr Fakten zu dieser Nacht zum Vorschein kommen, desto brüchiger wird die Heldengeschichte.
Es gibt viele Fragen, die nun gestellt werden müssten. Aber wer soll sie fragen? Werden es diejenigen sein, die schnell waren, die Polizei zu Helden zu verklären, also Bundeskanzlerin Merkel, Bundesinnenminister de Maizière, NRW-Ministerpräsidentin Kraft oder NRW-Innenminister Jäger? Es wäre ihr Job, schließlich sind sie für die Polizeien verantwortlich. Vielleicht wird die Grünen-Politikerin [6][Simone Peter] sich wieder ein Herz fassen, auch wenn sie kürzlich erst dafür geteert und gefedert wurde – [7][selbst von ihrer eigenen Partei], die sich sonst gerne für eine „Bürgerrechtspartei“ hält.
Bis die Fragen beantwortet sind, bleibt nur festzustellen, dass die Kölner Polizei Aleppo nicht von Algier und Kabul nicht von Casablanca unterscheiden kann. Ihre Pressemitteilungen wären wohl eher ein Fall für de Maizieres angedachte [8][Fake-News-Behörde].
13 Jan 2017
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Der Untersuchungsausschuss des Landtags in NRW präsentiert einen Abschlussbericht zur Kölner Silvesternacht. Die CDU wirft Rot-Grün Trickserei vor.
Der Presserat erlaubt, die Herkunft mutmaßlicher Straftäter*innen zu erwähnen. Die neue Regel gilt bei „begründetem öffentlichen Interesse“.
Warum der Mann in die Menschenmenge gefahren ist, bleibt unklar. Ein Terroranschlag war es wohl nicht. Doch viele wollten das glauben.
Eine offene Gesellschaft braucht die ehrliche und kritische Auseinandersetzung mit Stereotypen. Allerdings auch mit den eigenen.
Ein Mann soll sich ausweisen. Weil er schwarz ist, sagt er. Weil es nach Marihuana riecht, sagt die Polizei. Unsere Autorin sagt als Zeugin vor Gericht aus.
Seit Montag erstattete NRW-Politikerin Özlem Demirel über 100 Strafanzeigen. Sie wird bedroht, weil sie die Polizeiarbeit in der Silvesternacht kritisiert.
Jetzt auch schriftlich: Die Landespolizei kontrollierte „alle Personen, die dem nordafrikanischem Spektrum zugeordnet werden konnten“.
Der Kölner Polizeikessel war eine unnötige und diskriminierende Machtdemonstration. Die Polizei sollte um Entschuldigung bitten.
Neue Erkenntnisse nähren die Zweifel am Vorgehen der Polizei in der vergangenen Silvesternacht. Grüne haben nun doch „kritische Nachfragen“.
Durchstaatlichung, Kontrolle, Überwachung: Sind wir auf dem Weg in den Sicherheitsstaat, wie ihn Joachim Hirsch bereits 1980 skizziert hat?
Der taz wurde in der Debatte über den Kölner Polizeieinsatz die bewusste Verwendung von Nazi-Vokabular unterstellt. Eine Replik.
Der Wiedererkennungswert der Grünen, „Nafri“ als Wort des Jahres 2014, und wie sich Deutschland tatsächlich abschafft.
Aggressive Männergruppen, ein heikler Polizeieinsatz und offene Fragen. Was in Köln genau geschehen ist und wie Betroffene die Nacht erlebt haben.