taz.de -- Krieg in Syrien: Die Schlinge um Aleppo

Unterstützt von Russland erobert das Regime immer mehr die Rebellengebiete um Aleppo. Ein Sieg Assads hätte fatale Folgen.
Bild: Nach Bombardierungen im Norden von Aleppo tröstet ein Syrer einen Jungen in den Trümmern.

Istanbul taz | Markige Worte von Ahmet Davutoğlu an die Adresse Russlands. Niemand solle die Schmach vergessen, mit der die sowjetischen Truppen einst aus Afghanistan abgezogen seien, sagte der türkische Regierungschef am Dienstag. „Das Gleiche wird in Syrien passieren.“ Ähnlich hatten sich vor ein paar Monaten auch amerikanische Vertreter geäußert, als Russland mit den Luftangriffen in Syrien begann.

Vor einem halben Jahr waren die Rebellen im Norden des Landes noch auf dem Vormarsch. An anderen Orten im Süden und Zentrum des Landes konnte das Regime von Baschar al-Assad weitere Geländegewinne seiner Gegner nur verhindern, in dem es die Zivilbevölkerung in den Rebellenhochburgen gnadenlos aushungerte. Dann intervenierte Russland Ende September.

Fünf Monate später hat das rücksichtslose Bombardement von Rebellenstellungen, Krankenhäusern und Zivilisten das Blatt im Krieg gewendet. Gleich an mehreren Fronten eroberte das Regime in den letzten Wochen wichtige Gebiete: in Latakia und Idlib im Nordwesten und in der Gegend westlich von Damaskus sowie in Daraa im Süden des Landes.

Den wichtigsten Erfolg im Norden erzielten das Regime und seine Verbündeten vergangene Woche: Sie durchbrachen den Belagerungsring der Rebellen um die Kleinstädte Nubl und Zahraa. Damit kappten sie den wichtigen Nachschubweg der Rebellen aus der Südtürkei nach Aleppo.

Türkei lässt keine Flüchtlinge ins Land

Zehntausende sind vor den Angriffen an die türkische Grenze nahe der Stadt Kilis geflohen. Rund 30.000 harren in der von drei Seiten umstellten Kleinstadt Azaz aus. Bei Minusgraden übernachten viele im Freien. Die mit Ankara verbandelte islamistische Hilfsorganisation IHH hat nach eigenen Angaben in den letzten Tagen mehr als 2.000 Zelte errichtet.

Das UNO-Flüchtingskommissariat forderte die Regierung am Dienstag auf, die Grenze zu öffnen. Ankara weigert sich aber standhaft. Wie Jordanien, das im Süden die Grenze für Flüchtlinge ebenfalls dicht gemacht hat, setzt die Türkei offenbar darauf, de facto eine Schutzzone auf syrischem Boden zu schaffen.

Seit dem Sommer 2012 halten Aufständische den Ostteil von Aleppo. Mit zwei Millionen Einwohnern war die Stadt das wirtschaftliche Zentrum des Landes, ein kulturelles Juwel. Heute liegt ein Großteil in Trümmern, viele Einwohner sind geflohen. Aber noch immer leben nach Schätzungen mehr als 300.000 Menschen in den von Rebellen kontrollierten Stadtteilen.

In Kämpfen mit den Extremisten des „Islamischen Staats“ (IS) hatten die Rebellen seit Mitte 2014 bereits das östliche Hinterland von Aleppo verloren. Jetzt sind die von ihnen kontrollierten Teile von drei Seiten vom Regime beziehungsweise dessen Söldnern umstellt.

Internationale Milizionäre

Die russische Luftwaffe hat seit Beginn der Offensive auf Aleppo vor gut einer Woche Hunderte Bombenangriffe geflogen. Am Boden kämpfen vor allem schiitische Milizionäre aus dem Libanon, dem Irak und Afghanistan, deren Einsatz iranische Revolutionswächter koordinieren. Allein aufseiten der iranischen Revolutionswächter sind mehr als 25 Soldaten getötet worden, unter ihnen auch hochrangige Offiziere. Teheran setzt weiterhin alles daran, Assad an der Macht zu halten.

Als Nachschubweg steht den Rebellen jetzt nur noch die Route von Aleppo über die Provinz Idlib zur Grenze von Bab al-Hawa in der südtürkischen Provinz Hatay offen. Wird sie gekappt, verlören die Bewohner von Aleppo auch den letzten Fluchtweg nach Norden, warnte die Uno am Dienstag.

„300.000 Menschen, die noch in der Stadt leben, wären dann von humanitärer Hilfe abgeschnitten“, erklärte das für die Koordinierung von Hilfslieferungen zuständige Büro. Schon jetzt wird der nur rund sechs Kilometer weite Korridor zwischen den Rebellen und dem Regime ständig beschossen.

Wie viele Rebellen in der Stadt sind, ist unklar, manche Schätzungen reichen bis zu 30.000 Kämpfern. Doch unter den Flüchtlingen sind auch viele Rebellen, die nicht mehr an einen Sieg glauben. Die Frustration darüber, dass es an Hilfe des Westens, aber auch von Unterstützern in der Region fehlt, ist groß.

Das Gegenteil von Waffenruhe

Die militärische Lage habe sich völlig gedreht, sagen Rebellenführer. Statt Angriffen führen sie einen Abwehrkampf – auch gegen Kämpfer der kurdischen YPG, die die Provinz Afrin kontrollieren und kürzlich Dörfer nördlich von Nubl und Zahraa eingenommen haben.

Zu den großen Rebellengruppen in Aleppo gehört die Sham-Front, die auch von den Amerikanern Waffen erhält. Daneben operieren zahlreiche andere nationalistische Gruppierungen unter dem Banner der Freien Syrischen Armee.

Sowohl in der Provinz Idlib, wo die radikal-islamistische Jaish al-Fatah dominiert, als auch in der Provinz Aleppo gehören die Nusra-Front, der syrische Arm der al-Qaida, und die kaum weniger extremistische Ahrar al-Sham zu den mächtigsten Fraktionen.

Die Nusra-Front schickte Ende Januar einen riesigen Konvoi mit Kämpfern nach Aleppo. Angesichts der Offensive sind die Rufe wieder lauter geworden, die Reihen zu schließen. Statt die moderaten Rebellen würde dies die Extremisten auf dem Schlachtfeld weiter stärken.

Noch haben die Aufständischen die Schlacht nicht verloren. Noch sind die Gewinne für das Regime eher von taktischer als strategischer Bedeutung. Doch die Schlinge um Aleppo zieht sich enger. Er sehe Anzeichen dafür, dass Russland und der Iran zu einem Waffenstillstand bereit sind, sagte US-Außenminister John Kerry kürzlich. Auf dem Schlachtfeld in Syrien demonstrieren die beiden Assad-Verbündeten derweil das Gegenteil.

9 Feb 2016

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Inga Rogg

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