taz.de -- Der Internationale Strafgerichtshof: Ein wunder Punkt in Afrikas Politik

Bei seiner Gründung genoss der ICC breite, weltweite Unterstützung – heute wird er von Kommentatoren als „neokolonial“ bezeichnet.
Bild: Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag.

BERLIN taz | Der Streit über Sudans Präsident Omar Hassan al-Bashir offenbart einen tiefen Graben zwischen Afrika und dem Internationalen Strafgerichthof (ICC) in Den Haag. Für Menschenrechtsorganisationen wäre eine Verhaftung des sudanesischen Präsidenten in Südafrika ein Durchbruch gewesen: der erste amtierende Staatschef, der in Untersuchungshaft gerät, um sich wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verantworten. Aber genau aus diesem Grund wäre das für Bashirs Amtskollegen in der Afrikanischen Union (AU) undenkbar.

Für die einen ist Bashir das Oberhaupt eines der blutrünstigen Regime der Welt, Drahtzieher einer Vernichtungskampagne, die Hunderttausende Tote produziert hat. Für die anderen ist Bashir ein Immunität genießendes Staatsoberhaupt eines souveränen Landes, das nicht einmal ICC-Mitglied ist. Der Versuch, Bashir in Südafrika festzusetzen, sei „ein opportunistischer Akt“ mit dem Ziel, „im Namen des Völkerrechts afrikanische Führer gegeneinander aufzuhetzen“, wetterte jetzt der Vorsitzende des AU-Komitees für internationale Zusammenarbeit, Siphosezwe Masango.

Als der ICC entstand, hatte er in Afrika breite Unterstützung. Regierungen und Menschenrechtsgruppen hofften in den Gründerjahren 1998–2002, dass ein Weltgericht ihnen zur Seite steht im Kampf gegen Straflosigkeit. Afrika stellt die größte Mitgliedsgruppe des ICC, also jener Staaten, die das ihm zugrunde liegende Rom-Statut ratifiziert haben: 34 von insgesamt 122 weltweit, zugleich rund zwei Drittel aller Länder Afrikas.

Jenseits der Warlords

Aber heute nennen selbst aufgeklärte afrikanische Kommentatoren den ICC „neokolonial“ und bemängeln, dass bloß Afrikaner vor dem Weltgericht landen. Zentralafrikanische Republik, Uganda, Demokratische Republik Kongo, Sudan, Kenia, Libyen, die Elfenbeinküste und Mali lauten die acht Schauplätze laufender Prozesse oder Ermittlungsverfahren.

Das liegt aber daran, dass bisher nur in Afrika Regierungen den Gerichtshof angerufen haben. Von den acht Ländern gilt dies für alle außer Libyen und Sudan, beides keine ICC-Mitglieder; dort beschloss dies der UN-Sicherheitsrat.

Ein Problem wurde dies für afrikanische Staaten erst, als auch afrikanische Staatschefs Ziele von ICC-Ermittlungen wurden. Die ersten ICC-Opfer waren allesamt Rebellenführer und aktuelle oder ehemalige Warlords – die warf man gern dem Weltgericht zum Fraß vor.

Aber 2008 sah das Friedensabkommen für Kenia, das drei Monate blutigen Wahlstreit mit 1.300 Toten beendete, die Möglichkeit vor, Verantwortliche für diese Gewalt dem ICC zu überstellen – und dessen Ankläger benannten schließlich eine Reihe von Politikern. Im Jahr 2013 wurde einer von ihnen, Uhuru Kenyatta, zum Präsidenten gewählt.

Milde Beschuldigung

Gegen Kenyatta bestand, anders als gegen Bashir, nie ein ICC-Haftbefehl. Aber der Fall des Kenianers befremdete: Die Beschuldigung gegen ihn war sehr milde und teils konstruiert, und dennoch bestanden die Den Haager Richter darauf, dass er auch als Staatschef ständig in die Niederlande vor Gericht reisen müsse. Dies wurde als Erniedrigung wahrgenommen. Dann brach die Anklage zusammen, das Verfahren ist inzwischen eingestellt.

Die Auseinandersetzung um Kenyatta nützte auch Bashir. Nachdem der ICC 2009 und 2010 Haftbefehle gegen den Sudanesen ausgestellt hatte, herrschte in Afrika zunächst peinliches Schweigen. 2012 sagte Malawi als Gastgeber des AU-Staatengipfels lieber den kompletten Gipfel ab, als eine Anreise Bashirs und damit eine mögliche Verhaftung in Kauf zu nehmen. Aber seit der Kenyatta-Affäre 2013 ist Bashir wieder hoffähig.

Zwar ist noch kein Land in Afrika aus dem ICC wieder ausgetreten. Auch ein kollektiver Austritt Afrikas wurde nie realisiert. Doch die Kritik am ICC berührt einen wunden Punkt in Afrikas politischer Kultur: die schwindende Bereitschaft, Lektionen von außerhalb anzunehmen. Im 21. Jahrhundert will Afrika seine Probleme selbst lösen und nicht auf äußere Akteure setzen – so lautet der Konsens, der Machthaber und Intellektuelle heute enger zusammenschweißt denn je.

In diesem Klima blüht wieder die Straflosigkeit. Ein „Afrikanischer Menschenrechtsgerichtshof“ existiert zwar seit 2004, hat aber bisher lediglich drei folgenlose Urteile gefällt. Am 20. Juli 2015 soll nun endlich Tschads Exdiktator Hissène Habré wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor ein afrikanisches Sondergericht in Senegal kommen, als erster ehemaliger afrikanischer Präsident. Aber der 73-Jährige ist nun herzkrank. Gerade rechtzeitig zu seinem Prozess.

16 Jun 2015

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Dominic Johnson

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