taz.de -- Eurokolumne: Die Angst vor dem Gelduntergang
Inflation ist ein nationales Trauma. Darum äußert sich auch der ehemalige Weinbauminister Rainer Brüderle gewohnt kompetent dazu.
Die Inflation ist in aller Munde. Es vergeht kaum ein Tag, an dem wir nicht von besorgten Politikern und noch besorgteren Leitartiklern vor der kommenden Geldentwertung gewarnt werden. Den bisher tiefsten Tiefpunkt der an intellektuellen Tiefpunkten reichen Inflationsdebatte markierte diese Woche der FDP-Großökonom Rainer Brüderle.
In seinem frisch herausgegebenen „Programm zum Inflationsschutz“ stellt er die steile These auf, dass Steuererhöhungen die „Inflation entfachen“. Sollte Brüderle Recht haben, müssten wohl sämtliche Lehrbücher der Ökonomie umgeschrieben werden.
Aber der Reihe nach. Wenn es die vielzitierte „German Angst“ wirklich gibt, dann ist es die in Deutschland allgegenwärtige Angst vor der Inflation. Im deutschen Kollektivbewusstsein hat die Hyperinflation von 1923 die ökonomisch wesentlich verheerendere Deflation von 1929 verdrängt. Seitdem denkt der deutsche Michel beim Begriff Inflation stets an Papierscheine mit mindestens neun Nullen, für die man sich schon morgen nichts mehr kaufen kann.
Dieses nationale Trauma hat leider bis heute jede pragmatische Diskussionsgrundlage über dieses Thema zerstört. Die gute alte Bundesbank war in D-Mark-Zeiten unser letztes Bollwerk gegen die drohende Geldentwertung. Was störte es da schon, dass sie mehrfach während konjunktureller Dürrezeiten die Leitzinsen erhöhte und das Land damit in eine Rezession stürzte?
Angst und Schrecken expansiver Geldpolitik
Spätestens seit Beginn der Eurokrise sind diese verlässlichen Zeiten jedoch vorbei. Der Italiener Mario Draghi an der EZB-Spitze hat es geschafft, die Deutschen mit seiner expansiven Geldpolitik in Angst und Schrecken zu versetzen. Die Inflation ist wieder ein Thema, und auch die deutschen Medien von Spiegel bis Welt lassen es sich nicht nehmen, den Gelduntergang zu prophezeien.
Doch dabei gibt es ein klitzekleines Problem: Die angeblich allgegenwärtige Inflation ist nicht messbar, und sämtliche Erklärungsmuster, nach denen sie dennoch unabwendbar sei, erweisen sich bei näherer Betrachtung als Spökenkiekerei. Anstatt in Furcht zu erstarren, sollte man sich lieber auf die ökonomischen Grundlagen besinnen.
Lässt man einmal die Hyperventilation beiseite, kann man vereinfacht zwei miteinander verbundene Muster herausheben, die zu einer höheren Inflation führen. Die Preise steigen entweder dann, wenn die Bürger mehr Geld in der Tasche haben, oder dann, wenn die Kosten auf Seiten der Anbieter klettern und auf den Preis umgelegt werden müssen. Letzteres ist momentan bei den Energiepreisen festzustellen, was jedoch nicht dazu geführt hat, dass der allgemeine Verbraucherpreisindex, der die Inflation misst, mehr als üblich gestiegen ist.
Aber wen soll das auch wundern? Die neoliberalen Reformen haben Hand in Hand mit der Eurokrise ja eben nicht dazu geführt, dass die Bürger mehr Geld in der Tasche haben. Ganz im Gegenteil. Und warum EZB-Kredite an das Bankensystem in einer konjunkturellen Situation, in der die Banken dieses Geld weder direkt noch indirekt an die Bürger weitergeben, zu Preissteigerungen führen sollen, wissen wohl nur die Volkswirte der monetaristischen Schule in ihren Elfenbeintürmen.
Inflation als Totschlagargument
Solange alle drei Sektoren (Privathaushalte, Unternehmen und der Staat) krisenbedingt weniger ausgeben müssen und die Politik dies durch ihr Austeritätsdogma nicht nur verstärkt, sondern sogar für die Zukunft zementiert, ist nach allen Regeln der Ökonomie und des menschlichen Verstands auch keine Inflationsgefahr gegeben.
Der Begriff „Inflation“ droht jenseits jeglicher Vernunft zu einem Totschlagargument zu werden, mit dem vor allem konservative und wirtschaftsliberale Kreise jede Idee desavouieren, die ihnen nicht in den Kram passt. Seien es die Abkehr von der zerstörerischen Austeritätspolitik oder nun, wie in Brüderles Inflationsleitfaden, Steuererhöhungen.
Vielleicht besitzt Brüderle ja die Freundlichkeit, der Öffentlichkeit einmal zu erklären, wie eine Erhöhung der Steuern, die ja in der Regel dazu führt, dass die Bürger weniger Geld in der Tasche haben, zu Preissteigerungen führen soll. Dieser intellektuelle Spagat wäre sicherlich amüsant zu beobachten.
27 Oct 2012
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