taz.de -- Kolumne Vom Überleben in der Krise: Mehr Demokatie wagen
Den EU-Bürgern soll ein bisschen Mitbestimmung in der Währungsunion zugebilligt werden. Substanzielle Fragen werden auf dem EU-Gipfel aber offenbleiben.
Man kann eine Währungsunion gründen, ohne die Bürger zu befragen. Das hat die Geschichte des Euro gezeigt. Aber man wird sie nicht ohne oder gar gegen die Bürger vor dem Scheitern bewahren. Diese Einsicht dämmert im dritten Jahr der Eurokrise nun auch endlich den Verantwortlichen in Berlin und Brüssel.
Beim laufenden EU-Gipfel wollen sie nicht nur über die Lage in den Krisenländern sprechen, die gegen alle Beteuerungen immer schlimmer wird. Sie bereiten zudem eine tief greifende Reform von EU und Eurozone vor, bei der erstmals auch Themen wie Demokratie und Bürgerbeteiligung eine Rolle spielen sollen.
Allerdings fassen die „Chefs“, allen voran EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy und Kanzlerin Merkel, diese Themen völlig falsch an. Im Masterplan von Van Rompuy steht das Demokratie-Kapitel ganz am Ende. Was der blasse Belgier dazu aufgeschrieben hat, ist zudem überaus dünn.
Merkel hat sich zum Demokratie-Manko noch gar nicht groß geäußert. Selbst die Klagewelle gegen Rettungsschirm ESM und Fiskalpakt vor dem Bundesverfassungsgericht ist offenbar spurlos an der Kanzlerin vorbeigegangen. In ihrer Regierungserklärung ging sie darauf gestern mit keinem Wort ein.
Untaugliche Blaupause
Auch der Finanzminister ist keineswegs der europapolitische Vordenker, als der er sich gerne gibt. Schäubles in Interviews flugs hingeworfene Skizze für eine radikale EU- und Euro-Reform taugt nicht als Blaupause für ein neues, bürgernahes Europa, auch wenn er gern von Demokratie redet.
Viel schlimmer: Sollte sich Schäuble mit seiner Idee von einem Super-Euro-Finanzminister durchsetzen, der nationale Budgets im Alleingang einkassieren darf, wäre dies ein Putsch gegen die demokratische Kultur Europas. Schließlich ist das Budgetrecht das vornehmste und wichtigste Machtmittel der nationalen Parlamente.
Aber Berlin und Brüssel haben das Grundproblem immer noch nicht verstanden. Die Eurokrise ist nicht etwa eine Schulden- oder gar eine Staatsschuldenkrise. Sie ist eine massive Vertrauenskrise, die neben den viel beschworenen Märkten auch, ja sogar zunehmend, die Bürger betrifft.
Die EU stellt sich jedoch auf die Seite der Anleger. Sie versucht, das Vertrauen von Spekulanten zurückzugewinnen, indem sie demokratisch gewählte Regierungen mit Sparprogrammen entmachtet, die die Probleme vor Ort sogar verschärfen.Eine demokratisch orientierte Rettungspolitik würde versuchen, die Macht der Märkte zu brechen, statt diese mit milliardenschweren Hilfsprogrammen zu besänftigen. Sie würde die Krisenländer nicht dem Schreckensregime der Troika unterwerfen, sondern dem Souverän das letzte Wort überlassen.
Fragen über Fragen
Warum dürfen Bundestag und Europaparlament die Vorgaben der Troika nicht prüfen und ändern? Warum darf die neu gewählte Athener Regierung die Sparauflagen nicht nachverhandeln? Warum versucht die EU nicht, die Macht der Ratingagenturen zu brechen? Warum wird der ESM von einem nicht gewählten und nirgendwo rechenschaftspflichtigen Gremium geleitet? Wieso kann der Brüsseler Währungskommissar nicht abgewählt werden?
Fragen, die viel wichtiger als spitzfindige Debatten über Reförmchen sind, weil sie an die Substanz, nämlich den Inhalt der Eurorettungspolitik gehen. Genau diese Substanz stellen Van Rompuy, Merkel und Schäuble jedoch nicht in Frage. Im Gegenteil: Sie wollen eine Währungsunion, in der Marktmacht und Sparzwang zu ehernen Gesetzen werden. Das Volk soll nur noch über die Ergebnisse abstimmen dürfen, wenn überhaupt.
Das kann nicht gut gehen. Was nützt es, wenn die Märkte wieder Vertrauen in den Euro fassen, die Bürger aber nicht? Auf Dauer ist eine solche Währungsunion zum Scheitern verurteilt.
18 Oct 2012
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