taz.de -- Perisic vom UN-Tribunal freigesprochen: Befehlsunfähiger Generalstabschef

Beim Freispruch von Momcilo Perisic folgt das UN-Gericht der Argumentation im Fall des kroatischen Generals Gotovina: Schuld sei nicht nachzuweisen.
Bild: Konnten auch irgendwie alle nichts gegen die Belagerung von Sarajevo machen. (Mitte: Milosevic, links daneben: Perisic).

SARAJEVO taz | Schockiert waren Menschenrechtsorganisationen am Donnerstag in der bosnischen Hauptstadt Sarajevo über den Freispruch, den eine Berufungskammer des internationalen Jugoslawien-Tribunals am Donnerstag im Prozess gegen den früheren serbischen Generalstabschef Momcilo Perisic ausgesprochen hatte.

Perisic, während der Balkankriege bis 1995 Generalstabschef der damals noch als „Jugoslawische Volksarmee“ bezeichneten Armee der serbischen Regierung in Belgrad, war am 6. September 2011 in erster Instanz zu immerhin 27 Jahren Haft verurteilt worden: wegen der dreieinhalbjährigen Belagerung Sarajevos von 1992 bis 1995, wegen seiner Mitverantwortung für den Völkermord in Srebrenica und wegen des Granatenbeschusses von Kroatiens Hauptstadt Zagreb.

In Serbien und der serbischen Teilrepublik in Bosnien und Herzegowina dagegen überwog Erleichterung. Die Zeitung Nezavisne Novine schreibt mit Genugtuung, dass das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag jetzt nicht mehr „alle Serben“ als Kriegsverbrecher ansieht. Während man in Sarajevo beklagt, dass mit diesem Freispruch und nach dem Tode des ehemaligen Präsidenten Slobodan Milosevic kein ranghöchster Serbe aus Serbien selbst wegen Verbrechen in Bosnien zur Verantwortung gezogen worden sei, wird genau dies in Belgrad als positiv wahrgenommen. Wenngleich nicht von allen: „Für Serbien ist das Urteil ein Freispruch, wer denkt aber an die Opfer?“, fragt die serbische Menschenrechtlerin Natasa Kandic in einem BBC-Interview.

Perisic war überraschend vollständig erfolgreich. Die Berufungskammer erklärte, dass die gegen Perisic erhobenen Anklagepunkte „nicht ohne begründete Zweifel“ zu bewerten seien. Zwar hatte auch die Anklage nie behauptet, Perisic habe selbst die Befehle für den Genozid in Srebrenica oder für einzelne blutige Attacken auf Sarajevo, so das Marktmassaker, gegeben. Im ersten Urteil wurde er aber für diese Verbrechen mittelbar verantwortlich gemacht, weil er die serbischen Armeen Bosniens und Kroatiens mit Soldaten, Waffen und Logistik unterstützt habe. Deshalb war er in zwölf Anklagepunkten schuldig gesprochen worden, so wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Die Berufungskammer ging jetzt davon aus, dass die Hilfe, die die jugoslawische Armee unter Perisic’ Führung den bosnischen Serben leistete, auf deren Kriegsanstrengungen im Allgemeinen ausgerichtet gewesen sei, nicht auf die Unterstützung von deren Verbrechen im Einzelnen. Der Vorsitzende Richter Bakone Moloto betonte, Perisic sei „unfähig gewesen, dem Oberkommandierenden der bosnischen Serben, General Ratko Mladic, bindende Befehle zu geben.“ Mladic, so der Richter, konnte sich „während des gesamten Krieges eine bestimmte Unabhängigkeit bewahren“.

In der Form hielt sich das UN-Tribunal bei diesem Freispruch an den Tenor seiner Freisprüche für den kroatischen General Ante Gotovina und den ehemaligen UCK-Kommandanten Ramush Haradinaj aus Kosovo. In der Sache folgte es der Argumentation, die schon der Internationale Gerichtshof in seinem Urteil über Serbien im Februar 2007 vorgegeben hatte. Die Verbrechen in Bosnien wurden in diesem Grundsatzurteil allein den bosnischen Serben zur Last gelegt.

Alle Hinweise auf eine von der Regierung in Belgrad ausgehende Strategie und die Koordination der Kriege in Kroatien und Bosnien zur Schaffung eines Großserbien durch die damalige „Jugoslawische Armee“ wurden negiert. Da zudem der Milosevic-Prozess vor dem Kriegsverbrechertribunal nach dessen Tod 2006 abgebrochen werden musste, waren alle in diesem Prozess gesammelten diesbezüglichen Beweise nichts mehr wert.

1 Mar 2013

AUTOREN

Erich Rathfelder

TAGS

UN-Tribunal Ex-Jugoslawien
Sarajevo
Srebrenica
Kriegsverbrechen
Kriegsverbrechen
Ex-Jugoslawien
WM-Qualifikation
Jugoslawien-Krieg
Srebrenica
Kroatien
Fußball
Kroatien
Den Haag

ARTIKEL ZUM THEMA

Literatur zum Völkerstrafrecht: Die Schwere der Verbrechen

Die internationale Strafjustiz entwickelt sich rasant. Ein Essay und ein Werk zu den Nürnberger Militärtribunalen erweitern den Diskurs.

Kriegsverbrechen in Ex-Jugoslawien: 111 Jahre Haft für Folter und Mord

Das UN-Tribunal verurteilt sechs bosnisch-kroatische frühere Militärs und Politiker. Der Schuldspruch könnte auch für den Staat Kroatien Folgen haben.

Fußball-WM-Quali Kroatien vs Serbien: Dinamo gegen Roter Stern

Wenn Kroatien und Serbien in der WM-Qualifikation aufeinandertreffen, dann geht es nicht nur um Fußball. Der Austragungsort weckt böse Erinnerungen.

Frauenpreis für Lepa Mladjenovic: Eine Stimme des anderen Serbien

Gegen Nationalismus, Chauvinismus, Sexismus: Seit Beginn der Jugoslawienkriege 1991 war Lepa Mladjenovic immer ganz vorne mit dabei.

Den Haag spricht serbischen General frei: Von allen Vorwürfen entlastet

Die Schuld an Kriegsverbrechen in Sarajevo und Srebrenica sei nicht zweifelsfrei erwiesen: Das UN-Gericht spricht den ex-jugoslawischen Generalstabschef Perisic frei.

Staatsanwaltschaft prüft Fußballgeste: Andere Länder, andere Ismen

Mario Mandzukic hat gegrüßt. Wen genau, damit befasst sich nun auch die Staatsanwaltschaft. Was schizophren erscheint, folgt der kroatischen Logik.

DFB rügt Fußballgesten: „Ich bin ein Kroate“

Der Stürmer des FC Bayern behauptet in deutschen Medien, seine militärische Geste sei nur ein Torjubel gewesen. Auf Kroatisch redet er ein wenig anders.

Freispruch von Kroatiens Gotovina: „Kriegsverbrechen nicht bewiesen"

Zwei kroatische Ex-Befehlshaber wurden in Den Haag überraschend freigesprochen. Rechtsprofessor Ambos sieht darin keine Kehrtwende im Völkerrecht.

UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag: Freispruch für kroatischen Ex-General

Der ehemalige kroatische General Ante Gontovina wurde im vergangenen Jahr wegen Kriegsverbrechen zu 24 Jahren Haft verurteilt. Jetzt sprach ihn das Gericht frei.