taz.de -- Freispruch von Kroatiens Gotovina: „Kriegsverbrechen nicht bewiesen"

Zwei kroatische Ex-Befehlshaber wurden in Den Haag überraschend freigesprochen. Rechtsprofessor Ambos sieht darin keine Kehrtwende im Völkerrecht.
Bild: In Serbien protestieren nationalistische Demonstranten gegen die Freilassung von Ante Gotovina.

taz: Herr Ambos, Sie waren Mitglied im kroatischen Verteidigungsteam. Hat sie der Freispruch für Gotovina und Markac überrascht?

Ambos: Ja, sehr. Noch nie hat die Appellationsinstanz des Jugoslawien-Gerichtshofs ein Urteil der ersten Instanz völlig aufgehoben und für falsch erklärt. Bisher wurden allenfalls die Schuldvorwürfe geändert und die Strafen gemildert.

Wie war das ursprüngliche Urteil begründet worden?

Die erste Instanz hatte angenommen, die kroatische Armee habe in der Operation Sturm 1995 den serbischen Bevölkerungsteil der Krajina vertreiben wollen. Zur Einschüchterung habe die kroatische Armee Städte willkürlich bombardiert und Verbrechen an der serbischen Zivilbevölkerung - die es unstreitig gab - geduldet.

Warum wurde dieses Urteil nun praktisch auf den Kopf gestellt?

Die Appelationsinstanz hat es nicht als erwiesen erachtet, dass die Beschießung der Städte Kriegsverbrechen darstellten. Während die erste Instanz alle Artillerietreffer, die ein militärisches Ziel mehr als 200 Meter verfehlten, als Belege für Kriegsverbrechen sah, erklärte nun die zweite Instanz, diesen 200-Meter-Maßstab für völlig unbrauchbar. Solche Abweichungen könnten viele Gründe haben, zum Beispiel Wind und Wetter; deshalb mache ein solch abstrakter Maßstab keinen Sinn.

Das heißt, es hat bei den Bombardements keine kroatischen Kriegsverbrechen gegeben?

Nach Ansicht der Richtermehrheit lässt sich das jedenfalls nicht beweisen. Deshalb musste im Zweifel für die Angeklagten entschieden werden. Wir sind hier in einem Strafprozess, wo der Angeklagte nur verurteilt werden kann, wenn kein vernünftiger Zweifel an seiner Schuld besteht.

Und der Vertreibungsplan?

Ein gemeinsames kriminelles Unternehmen, die serbischen Bevölkerungsteile zu vertreiben, ist nach Ansicht der Appelationsinstanz auch nicht bewiesen worden. Denn das Protokoll des insoweit einzig relevanten Regierungstreffens mit Präsident Tudjmann ist nicht eindeutig und die angeblich willkürlichen Bombardements, der vermeintliche Beleg, haben nach Ansicht der Richtermehrheit ja nicht stattgefunden.

Ist das eine Kehrtwende im Völkerstrafrecht?

Nein, im Gegenteil. Der 200-Meter-Standard war eine Erfindung der ersten Instanz, die nun zu Recht wieder verschwinden wird. Ob Kriegsverbrechen vorliegen, kann eben nicht so schematisch entschieden werden.

Ist damit auch die kroatische Offensive in der Krajina rehabilitiert?

Dass die Rückeroberung der Krajina völkerrechtlich zulässig war, war immer klar. Es ging vor Gericht nicht um das Ob, sondern lediglich um das Wie, ob also das Kriegsrecht eingehalten wurde.

Erging das neue Urteil einstimmig?

Die 200-Meter-Regel wurde einstimmig als unhaltbar abgelehnt. Die FreisprÜche waren aber mit drei zu zwei Richterstimmen denkbar knapp. Die zwei Richter der Minderheit sahen auch ohne 200-Meter-Regel noch genügend Belege für kroatische Kriegsverbrechen. Die kroatische Regierung sollte deshalb das Urteil auch nicht überinterpretieren.

Die Legitimität des Jugoslawien-Tribunals in Serbien wird weiter sinken?

Die Akzeptanz war vorher schon minimal und auf solche politischen Erwägungen kann es bei einem Strafrechtsurteil auch nicht ankommen.

Früher waren Sie in der „Kampagne gegen die Straflosigkeit“ aktiv, heute verteidigen Sie Generäle. Wie passt das zusammen?

Das ist kein Widerspruch. Früher ging es darum, eine internationale Gerichtsbarkeit für völkerrechtliche Verbrechen einzuführen. Jetzt haben wir sie und sie wird nur Akzeptanz finden, wenn rechtsstaatliche Regeln für ein faires Verfahren dabei sehr ernst genommen werden. Dazu gehört auch die Unschuldsvermutung und das Recht auf effektive Verteidigung, für die ich mich in diesem Prozess eingesetzt habe.

20 Nov 2012

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Christian Rath

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