taz.de -- Die schönsten Steueroasen (1): Wo sich Karl Marx verliebte

Jersey ist eines der ältesten Anlegerparadiese weltweit. Banken, Konzerne und Superreiche zahlen hier kaum Abgaben. Auch die Queen spart.
Bild: Glückliche Kühe und beglückte Anleger auf Jersey.

DUBLIN taz | Die Idylle trügt. Sicher, Jersey ist eine hübsche Insel, das Klima ist angenehm, die Landschaft ein wenig hügelig, alles ist grün. Die Bauernhäuser aus rotem Granit erinnern an die Normandie – und die liegt nur 25 Kilometer weiter östlich. Zur englischen Südküste sind es 160 Kilometer, doch Jersey ist eine englische Kronkolonie. 1259 gab Frankreich alle Ansprüche auf die Insel auf, im Gegenzug verzichtete der König von England auf Ansprüche auf die Normandie.

Mehr als ein Drittel der 100.000 Einwohner lebt heute in der Hauptstadt Saint Helier, die Geschäfte in der Fußgängerzone sind meist Zweigstellen englischer Ladenketten, die Straßennamen aber überwiegend französisch, und es gibt viele französische Restaurants. Die Bewohner schwärmen von Jerseys Kombination aus englischer Höflichkeit und französischer Küche. Furchtbar, wenn es umgekehrt wäre, sagen sie. Aber wie höflich ist man auf Jersey wirklich?

Wer kein Geld hat, ist hier nämlich nicht richtig willkommen. Die Insel gehört weder dem Vereinigten Königreich noch der Europäischen Union an. Sie untersteht der Herzogin der Normandie – also Königin Elisabeth II. Arbeitslosengeld und Sozialhilfe sind in der Insel-Gesetzgebung nicht vorgesehen. Bedürftige müssen zum Gemeinderat gehen und ihren Fall vortragen.

Der Inselrat schickt dann jemanden vorbei, der sich zunächst anschaut, was der Antragsteller verkaufen kann, bevor er finanzielle Hilfe bekommt. Zwar gelten die britischen Einwanderungsgesetze, aber auf Jersey umgeht man sie mit einem Mix aus Gesetzen, die das Recht auf Hauskauf, Miete und Arbeit stark einschränken. Man will unter sich bleiben. Wer ein paar Millionen Pfund mitbringt, hat natürlich keine Probleme.

Von den Nazis besetzt

Touristen sind ebenfalls gern gesehen. Denen hat man einiges zu bieten. Das wusste schon Karl Marx, der sich in Jersey verliebte. Er hat öfter La Hougue Bie besucht, ein 5.000 Jahre altes neolithisches Ganggrab unter einem zwölf Meter hohen Hügel im Südosten der Insel.

Der Hügel hat auf der östlichen Seite einen zweiten Eingang. Er führt in einen Bunker. Die Kanalinseln waren der einzige zu Großbritannien gehörende Teil, den die Nazis während des Zweiten Weltkriegs besetzten. An der Küste stehen zahlreiche weitere Bunker, manche werden heute als Fischgeschäfte genutzt.

Im Tal von St. Lawrence gibt es ein unterirdisches Krankenhaus mit einem Gewirr von Gängen und Räumen. Die Deutschen rechneten mit einem Angriff der Alliierten, doch der kam zum Ärger der Inselbewohner nicht. Erst am 9. Mai 1945 landeten britische Soldaten auf Jersey und nahmen die Insel kampflos zurück.

Mit jeder Hilfe können hingegen Firmen rechnen. 47 Banken, 187 Stiftungen, hunderte Fonds und 30.000 Unternehmen haben sich auf Jersey niedergelassen. Ausländische Finanzunternehmen müssen keine Steuern zahlen, einheimische nur 10 Prozent. Der höchste Einkommensteuersatz liegt bei 20 Prozent, Millionäre müssen aber so viel nicht zahlen, sie können den Steuersatz mit dem Inselparlament aushandeln. Es gibt keine Gewerbe-, Erbschaft-, Vermögen- oder Mehrwertsteuer. Auch die Queen lässt deshalb weite Teile ihrer Kunstsammlungen von Jersey aus verwalten.

Die Insel ist eines der ältesten Steuerparadiese der Welt: Vor gut 50 Jahren eröffnete die Handelsbank M. Samuel’s, ein Pionier in Sachen Offshore Banking, eine erste Filiale auf der Kanalinsel. Jersey sei der Außenposten der Londoner City, sagt Richard Murphy, Direktor der Organisation Tax Research UK. Diese leitet den Großteil der rund 470 Milliarden Pfund, die jährlich nach Jersey fließen, in das Finanzsystem der Insel. Dadurch gehen Großbritannien zwar 20 Milliarden Steuern im Jahr flöten, aber die Londoner City profitiert erheblich davon.

Das ist das Dilemma für Premierminister David Cameron, der den britischen Steueroasen mehr Transparenz verordnen will. Murphy sagt allerdings, man könne Jersey nicht als Steueroase bezeichnen. „Wir nennen es Geheimjurisdiktion. Das sind Orte, die absichtlich Gesetze verabschieden, die die Regeln eines anderen Staates untergraben.“

Elitäre Insider-Netzwerke

Im kleinen Inselkosmos könne man sich nicht verstecken, schreibt Nicholas Shaxson in seinem Buch „Treasure Islands“. Jersey sei „durchsetzt von elitären Insider-Netzwerken, die mit dem Finanzsektor verbandelt sind.“

Shaxson beschreibt den Fall des Senators Stuart Syvret, eines kritischen Mitglieds des Inselparlaments, der von seinen Kollegen gemobbt und von der Polizei schikaniert wurde. Als ihm im Oktober 2009 vorgeworfen wurde, geheime Polizeiberichte an die Presse lanciert zu haben, floh er nach London und beantragte im Unterhaus politisches Asyl.

„Es herrscht ein Klima der Angst in Jersey“, sagt Syvret. Die Insel sei eine Art Einparteienstaat, und wer mit der Partei nicht übereinstimme, sei ein Feind Jerseys. „Du giltst hier schnell als Verräter“, sagt er. „Und dann ist da überall diese stalinistische Propaganda.“

18 Aug 2013

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Ralf Sotscheck

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