taz.de -- Die schönsten Steueroasen (2): „Steuersparen auf Niedersächsisch“
Das Dorf Groß Berßen bietet niedrige Gewerbesteuersätze. Deshalb siedelte Niedersachsen einst eine landeseigene Beteiligungsgesellschaft dorthin um.
HANNOVER taz | Groß Berßen in der niedersächsischen Samtgemeinde Sögel: Das sind 665 Einwohner, tiefste Provinz im erzkonservativen Emsland, der Hochburg von Niedersachsen-CDU und Fleischindustrie. Über 32 Millionen Mastplätze für Geflügel, 1,5 Millionen für Schweine gibt es in der Region. In Sögel ist der Fleischfabrikant Tönnies mit rund 1.300 Beschäftigten der Hauptarbeitgeber.
Das Dörfchen Groß Berßen selbst kommt nur auf eine Handvoll Baufirmen und ein paar Landwirte, eine Bäckerei und ein Gasthof – nicht gerade ein Zentrum der Finanzwirtschaft.
Entsprechend groß war die Verwunderung, als Niedersachsens damaliger Finanzminister Hartmut Möllring (CDU) im Jahr 2010 die landeseigene Beteiligungsgesellschaft HanBG von Hannover nach Groß Berßen umsiedelte.
„Steuersparen auf Niedersächsisch“, diese Formulierung war noch eine der wohlwollenderen Reaktionen. 316 Millionen Euro umfasst das Stammkapital der HanBG, kurz für Hannoversche Beteiligungsgesellschaft, die Niedersachsens Anteile an diversen großen Unternehmen wie Volkswagen, der Salzgitter AG oder der Deutschen Messe verwaltet.
Eine Million Euro Gewerbesteuer, so die Rechnung von Finanzminister Möllring, könne das Land durch den Umzug der Gesellschaft sparen. Denn Groß Berßen statt Hannover, das sind 270 statt 460 Prozent Gewerbesteuerhebesatz. In Groß Berßen wird der landesweit niedrigste Satz veranschlagt, in der Landeshauptstadt dagegen der höchste.
„Flucht in Steueroasen“
Und dort war der Aufschrei groß, als Möllring ein 25 Quadratmeter großes Büro für 100 Euro im Monat in dem Provinznest anmieten und Aktenberge rüberkarren ließ. Einmal im Monat pendeln die beiden HanBG-Geschäftsführer seither zum Arbeiten von Hannover ins 250 Kilometer entfernte Groß Berßen.
Ansonsten bleibt das Büro meist ungenutzt. Die Landtagsopposition sprach von einer „Flucht in Steueroasen“ und nannte Möllring ein schlechtes Vorbild in Sachen Steuermoral. Selbst der Koalitionspartner FDP äußerte sich „irritiert“.
Der niedersächsische Finanzminister Peter-Jürgen Schneider (SPD) kündigte aber gleich nach der rot-grünen Regierungsübernahme im Frühjahr an, die HanBG bis Jahresende nach Hannover zurückzuholen. „Das Land muss, was das Thema Steuervermeidung angeht, Vorbild sein“, sagt er der taz. Zudem wolle man eine „rechtliche Grauzone verlassen“. Gewerbesteuer sei am Ort der Geschäftstätigkeit zu zahlen, und der sei Hannover.
„Schaden für Land und Kommunen“
Vor Ort kommt das gar nicht gut an. Und das nicht etwa, weil in Groß Berßen künftig Gewerbesteuereinnahmen wegfallen. Er fürchte vielmehr „Schaden für Land und Kommunen“, wenn die neue Landesregierung die HanBG wieder nach Hannover abziehe, sagt Samtgemeindebürgermeister Günter Wigbers (CDU) auf taz-Anfrage.
Denn in Hannover werde Niedersachsen nicht nur wieder mehr Gewerbesteuer für seine Beteiligungsgesellschaft zahlen. Insgesamt hätten alle niedersächsischen Kommunen von der Standortwahl Groß Berßen profitiert, führt er an.
Seit der HanBG-Ansiedlung habe Groß Berßen wegen seiner gestiegenen Steuerkraft fast keine Leistungen mehr aus dem kommunalen Finanzausgleich erhalten. Die Gelder seien stattdessen auf andere Kommunen verteilt worden, erklärt Wigbers. Ohne die HanBG werde Groß Berßen aber wieder Ausgleichsleistungen beziehen, die dann anderen Kommunen fehlten.
„Groß Berßen ist keine Steueroase“, sagt Wigbers. Andere Gemeinden hätten ähnlich niedrige Gewerbesteuerhebesätze. Für den Ort selbst sei die HanBG-Ansiedlung „eher ein Nullsummenspiel“. Von den HanBG-Steuern seien „netto nur rund 10 Prozent in Groß Berßen geblieben“. Der Großteil sei in den Finanzausgleich der Kommunen geflossen. Wigbers: „Goldene Wasserhähne haben wir hier nicht.“
19 Aug 2013
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