taz.de -- Kommentar Kommunalwahlen Türkei: Tayyip, der Scheinriese
Nach den Wahlen ist die Türkei zerrissener denn je. Und Erdogan reagiert mit einer polarisierenden Triumphrede. Doch so eindeutig ist der Sieg seiner AKP nicht.
Die Türkei hat gewählt – und Erdogan gewonnen. Obwohl der Ministerpräsident bei den Kommunalwahlen am Sonntag nicht selbst zur Wahl stand, ist er der eigentliche Sieger der Abstimmung. Die gesamte Türkei hat den Urnengang als Referendum über Recep Tayyip Erdogan verstanden.
Auf die Türkei kommen jetzt extrem schwierige Zeiten zu. War das Land schon vor der Wahl gespalten, sind die Gräben jetzt zementiert. Hatte Erdogan nach vorangegangenen Wahlen in seinen Dankesreden zumindest noch so getan, als wolle er Premier der gesamten Bevölkerung sein, lieferte er nun um Mitternacht eine scharfe Lagerrede ab. Unverhüllt drohte er den Verlierern, die Chaos verbreitet und das Land verraten hätten.
Die Siegesfanfare hätte Erdogan besser im Schrank gelassen, denn sein Sieg ist keineswegs so eindeutig, wie es auf den ersten Blick scheint. Konzentriert hatte sich der Wahlkampf auf die beiden wichtigsten Städte des Landes, Istanbul und Ankara. Glaubt man den offiziellen Zahlen, hat die AKP in Ankara hauchdünn und in Istanbul mit einem Vorsprung von einigen Prozent gewonnen.
Doch beide Städte zeigen vor allem, wie stark die oppositionelle CHP geworden ist. Landesweit liegt die AKP zwar mit 45 gegen 28 Prozent weit vor der oppositionellen CHP, aber mit 43 Prozent in Ankara und 40 Prozent in Istanbul braucht diese sich künftig nicht mehr zu verstecken.
Hinzu kommt, dass die CHP an hunderten Beispielen zeigen kann, dass die AKP in beiden Städten manipuliert hat. So wurde an vielen Stellen versucht, vorfabrizierte Wahlzettel zugunsten der AKP in die Urnen zu schmuggeln. Viele Leute melden Manipulationen an den Wählerregistern und nach den Zahlen, die unabhängige Wahlbeobachter in der Wahlnacht an den Urnen registrierten, ist der Sieg der AKP sehr zweifelhaft.
Land am Abgrund
Doch selbst wenn die Zahlen stimmen sollten: War der Vorteil der AKP bislang, dass die Opposition sich zerfaserte, während die AKP ihre Anhänger geschlossen für sich mobilisieren konnte, stellt man jetzt eine Konzentration der Opposition in den Metropolen und bestimmten Landesteilen fest.
Die AKP hat in ihren anatolischen Hochburgen haushoch gewonnen, aber dasselbe gilt für die Opposition. Die CHP gewinnt den Westen des Landes, die Städte an der Ägäis mit Izmir als Zentrum genauso haushoch, wie die AKP Konya und Kayseri in Zentralanatolien. An der östlichen Mittelmeerküste hat sich dagegen die ultranationalistische MHP festgesetzt und die viertgrößte Metropole Adana gewonnen. In den kurdischen Gebieten hat die kurdische BDP alle wichtigen Städte gewonnen.
Diese regionale Teilung des Landes spiegelt sich auch in Istanbul wieder. Die wichtigste Metropole des Landes ist bereits scharf segregiert. In den säkularen Hochburgen Istanbuls hat die CHP teilweise mit 60 Prozent und mehr gewonnen, während die AKP ihre Gewinne auch nur in ihren Hochburgen eingefahren hat. Mit anderen Worten: Die Stadtteile, in denen konservativ-religiöse und säkulare Menschen Tür an Tür leben, werden immer weniger.
Erdogan hat das Land extrem gespalten und scheint umso mehr entschlossen, auf diesem Weg weiter zu gehen, wenn seine Macht infrage gestellt wird. Kein Wort von Versöhnung, stattdessen Drohungen an seine Gegner. Auch wenn Erdogan trotz Korruptionsvorwürfen, trotz der von ihm verantworteten Polizeigewalt gegen jugendliche Demonstranten es mit seinen kruden Verschwörungstheorien geschafft hat, seine Anhänger noch stärker auf sich selbst einzuschwören: Erdogan ist ein Scheinriese und die Türkei wird mehr und mehr zu einem Land am Abgrund.
31 Mar 2014
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