taz.de -- Finnland leidet unter Sanktionen: Milchsee und Irritationen wachsen

Wegen des russischen Lieferembargos verliert Finnlands Agrarwirtschaft ein Drittel ihres Exportmarkts. Die Regierung prüft nun Beihilfen.
Bild: Die Milch macht's: Molkerei in St. Peterburg. Hier kommt das Zeug bald her, nicht mehr aus Finnland.

OSLO taz | Der russische Zoll reagierte schnell. Unmittelbar nachdem Ministerpräsident Dmitri Medwedjew am Donnerstag den Importstopp für westliche Agrargüter verkündet hatte, wurden die Übergänge an der finnisch-russischen Grenze für entsprechende Lkw-Transporte dichtgemacht. „Drei meiner Fahrzeuge mussten wieder umkehren“, erzählt der Lkw-Unternehmer Eero Niininvirta.

Er hat sich auf den Transport von Molkereiprodukten nach Russland spezialisiert. Seine 18 Fahrer sind jetzt arbeitslos. Und die finnische Agrarwirtschaft hat schlagartig ein Drittel ihres Exportmarkts verloren – in der EU ist nur Litauen ähnlich hart betroffen.

Erwischt hat es vor allem den Molkereikonzern Valio, der bislang über 20 Prozent seiner Produktion nach Russland lieferte. Allein bei dieser Firma sind 3.500 Beschäftigte direkt und rund 8.500 Milchbauern indirekt betroffen. Gewerkschaften fürchten den Verlust von bis zu 800 Arbeitsplätzen. Man werde mehr Käse und Milchpulver produzieren, teilte Valio-Chef Pekka Laaksonen mit: Vielleicht könnte man die Finnen ja auch über niedrigere Preise dazu animieren, mehr Milch zu trinken.

Da tatsächlich Preissenkungen zu erwarten sind, forderte Juha Ruippo, Direktor der Bauernorganisation MTK, bereits höhere Landwirtschaftssubventionen. Der Lebensmittelverband ETL ermahnte die Produzenten, möglichst rasch neue Exportmärkte zu erschließen. Dabei werde die Regierung helfen, versprach Landwirtschaftsminister Petteri Orpo. Finnland solle auch bei einem Ende der Sanktionen nicht mehr unbedingt mit dem russischen Markt rechnen, meint Hanna Smith, Russlandexpertin von der Universität Helsinki: Wenn die Russen erst einmal Gefallen an den einheimischen Produkten gefunden hätten, die jetzt an die Stelle der importierten treten, könnte dieser Markt weitgehend verloren sein.

Medien spekulieren längst über weitere Sanktionen. Eine von Moskau bereits angedrohte Sperrung des Luftraums über Sibirien für westliche Fluggesellschaften würde Finnland überproportional hart treffen würde. Die Finnair transportiert auf ihren Asienrouten fast die Hälfte ihrer interkontinentalen Passagiere. Vor einer „Katastrophe“ warnt die Zeitung Iltalehti: Eine Luftraumsperrung könne das Ende der seit Jahren defizitären Airline bedeuten. „Welchen Einfluss haben alle Sanktionen eigentlich auf die Sache selbst, also die Ukraine-Krise“, fragt die Tageszeitung Helsingin Sanomat – und konstatiert: „Wir vermögen keinen zu sehen.“

10 Aug 2014

AUTOREN

Reinhard Wolff

TAGS

EU
Russland
Sanktionen
Finnland
Milchbauern
Lebensmittel
Schwerpunkt Atomkraft
Ukraine
Russland
Ölbohrung
Sanktionen
Ukraine
Ukraine
Russland

ARTIKEL ZUM THEMA

Atomkraft in Finnland: Russland baut ein neues AKW

Kabinett beschließt Errichtung des sechsten Reaktors. Grüne verlassen aus Protest die Regierung. Zwei Drittel der Bevölkerung gegen Deal mit Moskau.

Krieg in der Ostukraine: Hilfskonvoi aus Moskau unerwünscht

Die Regierung in Kiew will auf keinen Fall, dass 280 russische LKWs in die Ukraine gelangen. Nahe Lugansk toben heftige Kämpfe zwischen Militär und Separatisten.

Auswirkungen der Russland-Sanktionen: Weniger Effekt als ein Unwetter

Das Geheul der Agrarlobby lässt vermuten, dass die Sanktionen gegen Russland und dessen Gegenmaßnahmen den Markt erschüttern. Aber stimmt das?

Wirtschaftskooperation Russland-USA: Öl kennt keine Ukraine-Krise

Der US-Konzern ExxonMobil arbeitet weiter mit der russischen Staatsfirma Rosneft zusammen. Man will in der Aktis bohren. Putin gibt den Startschuss.

Polen protestieren gegen Putin: Einfach mehr Apfelwein trinken

Mit Witz und Bauernschläue wehren sich die Polen gegen das russische Embargo. Doch die Obst- und Gemüsebauern des Landes leiden.

Entwicklungen im Ukraine-Konflikt: Im Osten nichts Neues

Russland warnt den Westen vor weiteren Sanktionen – und gibt grünes Licht für ein gemeinsames Arktisprojekt. In der Ostukraine gibt es bei Kämpfen wieder zahlreiche Tote.

Sanktionen im Ukraine-Konflikt: Kiew will kein russisches Gas leiten

Die Ukraine droht, Gas aus Russland nicht länger nach Westeuropa weiterzuleiten. Unterdessen gehen die Kämpfe in der Ostukraine weiter.

Krisen und ihre Folgen: Bauern jammern, Börsen taumeln

Deutsche Landwirte wollen nach China. Italiener und Griechen leiden. Und die weltweiten Krisen lassen die Börsenkurse einbrechen.