taz.de -- Kommentar Ideologie des IS: Völkermord mit Ansage

Die IS-Miliz macht keinen Hehl daraus, wie sie mit Jesiden verfährt, die nicht geflüchtet sind. Anderen Minderheiten ergeht es kaum besser.
Bild: Jesidischer Flüchtling in der Türkei.

Die mediale Fixierung auf die belagerte Stadt Kobani trägt bizarre Züge. Denn wenn es nur um die dort ausharrenden Menschen ginge, könnte man diese vermutlich relativ leicht aus der Stadt evakuieren, die so nahe an der Grenze zur Türkei liegt. Doch ihre Verteidiger sehen den Traum von einem kurdischen Autonomiegebiet in Syrien schwinden, sollte Kobani in die Hände der Dschihadisten fallen. Und für die IS-Milizen wäre es ein riesiger Propagandaerfolg, könnten sie ihre schwarze Fahne über der Stadt hissen, die sie im Netz schon in Ain al-Islam, also „Quelle des Islam“ (und nicht al-Arab, „der Araber“) umgetauft haben. Der französische Präsident François Hollande nennt Kobani deshalb „eine Märtyrerstadt, eine symbolische Stadt“.

Dabei schaffen die Dschihadisten im Schatten der Kämpfe um die kurdische Stadt bereits Fakten, die noch viel grauenvoller sind. Das Schicksal der religiösen Minderheit der Jesiden, deren Angehörige erst vor zwei Monaten panikartig vor dem Vormarsch der IS-Milizen in das Sindschar-Gebirge im Nordirak flüchten mussten, ist aus den Schlagzeilen verdrängt. Jetzt bekennt sich die IS-Miliz in brutaler Offenheit dazu, wie sie mit denen verfährt, die zurückgeblieben sind.

In ihrer Onlinepropagandapublikation macht sie keinen Hehl daraus, dass sie die Kultur und Religion dieser Minderheit auslöschen will. Die Männer und Jungen werden deshalb ermordet oder gezwungen, zum Steinzeit-Islam der IS-Milizen zu konvertieren. Junge Frauen und Mädchen dagegen werden als „Kriegsbeute“ an IS-Kämpfer verkauft, verheiratet und versklavt. Auch Angehörigen anderer Minderheiten wie den schiitischen Turkmenen oder den Schabak ergeht es kaum besser.

Die UN betrachtet das Vorgehen der IS-Milizen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Angela Merkel sprach schon im August von Völkermord. Barack Obama versucht, eine internationale Allianz gegen den „Islamischen Staat“ zu schmieden. Dabei ist er relativ erfolgreich, denn auch Russland und der Iran haben ein Interesse daran, die IS-Milizen zu stoppen.

Aber nur mit Bombardements aus der Luft wird das nicht gelingen. Niemand scheint bereit, Bodentruppen oder Blauhelme in diesen Konflikt zu schicken, der immer unübersichtlicher wird. Solange das so bleibt, können die IS-Milizen in ihrem Herrschaftsbereich ihren Genozid-Ambitionen nachgehen. Es ist ein Völkermord mit Ansage.

16 Oct 2014

AUTOREN

Daniel Bax

TAGS

Jesiden
„Islamischer Staat“ (IS)
Dschihadisten
Kobani
Schwerpunkt Syrien
„Islamischer Staat“ (IS)
Jesiden
Kobani
Dschihad
Schwerpunkt Syrien
Jesiden
Pazifismus
Salafisten
Schwerpunkt Kobanê
USA
Irak
„Islamischer Staat“ (IS)
Schwerpunkt Syrien
Besser
Schwerpunkt Syrien

ARTIKEL ZUM THEMA

Kurden drängen IS im Nordirak zurück: Ende der Belagerung von Jesiden

Monatelang harrten tausende jesidische Flüchtlinge im Sindschar-Gebirge aus. Jetzt konnten kurdische Einheiten bis zu ihnen vordringen.

Kampf gegen den IS: „Wir hoffen auf die UNO“

Songül Tolan vom Zentralrat der Jesiden über die Lage im Nordirak, Unstimmigkeiten mit den Peshmerga und ihre Forderungen an die Regierung.

Umkämpfte Stadt Kobani: Angriff von drei Seiten

Einwohner der syrischen Grenzstadt sprechen von Atemnot und Ohnmachtsanfällen. Ob wirklich Chemiewaffen eingesetzt wurden, ist völlig unklar.

FBI stoppt Reise zu Extremisten: Teenager wollten in den Dschihad

Drei Mädchen aus den USA schwänzten die Schule, offenbar um sich der Terrormiliz Islamischer Staat anzuschließen. In Frankfurt wurden sie vom FBI aufgehalten.

Historikerin über Pazifismus: „Die UNO ist leider schwach“

Die Historikerin Corinna Hauswedell über modernen Pazifismus in Zeiten von IS und Assad, Gegengewalt und Doppelmoral.

Frauenrechtlerin über Dschihadisten: „Die Rechnung der Täter geht auf“

Monika Hauser von der Frauenrechtsorganisation Medica Mondiale über den Islamischen Staat, Männer im Krieg sowie entführte jesidische Frauen und Kinder.

Debatte Pazifismus vs. Intervention: Schuldig durch Unterlassen

Friedenspolitik war immer höchst umkämpft. Doch bis heute gibt es keine Alternative zur notfalls bewaffneten Friedenssicherung durch die UN.

Innenminister zu Dschihadisten: Bei Verdacht Personalausweis weg

Potenzielle Dschihad-Touristen sollen einen Ersatzausweis erhalten, um nicht ausreisen zu können. Ein Salafist wird in die Türkei abgeschoben.

Kampf gegen den „Islamischen Staat“: Ein Korridor, aber für was?

Kurdische Linken-Abgeordnete fordern „Waffen für Kobani“ und hadern mit dem Pazifismus ihrer Partei. Volker Kauder springt ihnen bei.

Kampf um Kobani: Kurden drängen IS zurück

Gezielte Luftangriffe verlangsamen den Vormarsch der Dschihadisten. Kurdische Kämpfer erobern in schweren Gefechten Teile Kobanis zurück.

Krieg im Irak: Der IS rückt bei Bagdad vor

Die Dschihadisten kontrollieren weite Teile der irakischen Provinz Anbar. Im syrischen Kobani hingegen sollen sie dabei sein, sich zurückzuziehen.

IS in Kobani und im Irak: Luftangriffe töten Hunderte

Allierte Bombardements bremsen den IS-Vormarsch in Kobani. Unionsfraktionschef Kauder kritisiert derweil die Türkei und deutet eine Annäherung zur PKK an.

Kriegsverbrechen des IS im Irak: Frauen als Beute

Versklavt und zwangsverheiratet: Nach Gefangennahme teilt der IS Jesidinnen unter seinen Kämpfern auf. Unter Berufung auf den Koran.

Kolumne Besser: Liebe Kurden, seid nett zur Autobahn

Die kurdische Bewegung steht vor einer historischen Chance, die langersehnte Anerkennung zu erfahren. Aber weiß sie das eigentlich?

Jürgen Trittin über den Kampf gegen IS: „Bodentruppen nur aus der Region“

Der Außenpolitiker Jürgen Trittin widerspricht seiner Fraktionschefin und warnt: Bundeswehrsoldaten gegen die Terrormiliz in Syrien anzubieten, sei ein falsches Signal.