taz.de -- Neue Musik aus Berlin: Es atmet die Biestigkeit

Auf „Tender Mercies“ bringen Frank Gratkowski und Simon Nabatov auch Nebengeräusche zum klingen. Die Klänge verweilen kurz, dann galloppieren sie los.
Bild: Simon Nabatov (links), Frank Gratkowski (rechts)

Musik gegen den Strudel der Ereignisse: In „Turn of Events“, dem Eröffnungsstück ihrer Duo-CD „Tender Mercies“, lassen die Jazzmusiker Frank Gratkowski (Altsaxophon, Flöte, Klarinette und Bassklarinette) und Simon Nabatov (Piano) den Tönen Zeit, zueinander zu finden, und gönnen ihnen Nachhall. „Turn of Events“ beginnt ruhig, zur Musik gehört auch Gratkowskis Atmen und die Klappengeräusche seiner Instrumente.

Zum Ende der zweiten Minute macht sich eine moderate Unruhe bemerkbar, die noch einmal zurückgefahren wird. Kurze, ernste Statements des Pianos verdeutlichen aber, dass es in dieser Musik gärt. Es wird noch richtig wild.

Davor aber haben der Hamburger Berliner Frank Gratkowski und der als Kind aus Moskau nach Wien und dann als Jugendlicher nach Köln gekommene Simon Nabatov majestätische Kammermusik („Tender Mercies“), einen dissonanten Galopp mit hymnischem Ausklang („Safe Home“), eine in sich gekehrte Vignette mit kurzem Ausbruch („Cagey“), mysteriösen Minimalismus („Layers of Disguise“) und eine knapp bemessene Ruhe vor dem Sturm („Surfaces“) gesetzt. „Disgruntled Settlement“ mit seinen kurzen, spitzen Noisesplittern atmet dann eine wunderbare Biestigkeit.

Dabei gibt es Grund zum Feiern: Gerade einmal vorige Woche hat FRank Gratkowski den Impro-Drummer Tony Buck im Londoner Cafe Oto zum Sechzigsten gratuliert, jetzt kommt Buck nach Schöneweide zu Gratkowski, der im ehemaligen Werk für Fernsehelektronik seinen Sechzigsten begeht. Gegenseitigkeit ist eine feine Sache und Wildheit muss nicht grob sein.

1 Apr 2023

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Robert Mießner

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