taz.de -- Neue Musik aus Berlin: Mehrstimmig im Freien
Auf ihrem neuen Album „Strange Songs“ ist Ute Wassermann im Zwiegespräch mit Amsel, Ente und Birkhuhn. Das Ergebnis ist ein tirilierender Wohlklang.
Anfang März, Ende Februar, zunehmend früher im Jahr passiert es, dass ein Spaziergang in ein Freiluftkonzert mündet. Die Singvögel legen sich ins Zeug. Das hat Suchtpotential. Für den Hausgebrauch gibt es jetzt eine Platte, auf der die Berliner Stimm- und Klangkünstlerin, Performerin und Komponistin Ute Wassermann zehn seltsam vertraute, einfach nummerierte Songs für das Zwiegespräch von Mensch und Vogel eingespielt hat.
Wassermanns Instrumente sind dabei Stimme, Gaumenpfeife, Nasenflöte und Vogelpfeifen für, Vorhang auf: Ente, Amsel, Birkhuhn, Guan, Jacu, dabei handelt es sich um ein Kaffeekirschen liebendes Tier, dann den Schwefelmaskentyrann, die Lärche und den Sperling. Die Vogelpfeifen kommen von der brasilianischen Manufaktur Maurilhio Coelho. „Strange Songs“ bei offenem Fenster zu hören, könnte interessant werden.
Das Repertoire ist immens: Da pfeift es und tiriliert, zischt und klopft, es brummt, haucht und faucht. Im zweiten Song geht knarrend eine Tür auf, vermutlich gibt sie den Blick frei auf ein Waldstück. Das vierte Lied hebt rhythmisch an und geht in einen nonverbalen Beschwörungsgesang über, der im fünften Song aufgegriffen wird. Am Schluss des achten Lieds steht ein Klage- und ein Findelaut, Titel 10 bündelt die Platte mit einer starken Mehrstimmigkeit.
Ute Wassermanns Vokaleinsatz erinnert an mehr als einer Stelle an die Signale eines verwegenen Synthesizers. Dass sie nächste Woche mit Kolleginnen eine Veranstaltungsreihe zum Verhältnis von Stimme und Elektronik eröffnet, kommt nicht von ungefähr. Bis dahin gehen wir der Frage nach, was Amsel, Drossel, Fink und Star für Beatles abgeben würden.
25 Feb 2023
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Auf „Tender Mercies“ bringen Frank Gratkowski und Simon Nabatov auch Nebengeräusche zum klingen. Die Klänge verweilen kurz, dann galloppieren sie los.
Die italienische Experimentalmusikerin Sara Persico verbindet Clubsounds mit Klangkunst. Nun ist ihre Grenzen testende Debüt-EP „Boundary“ erschienen.
Auf „elletsreuef“ reduziert die Pianistin Andrea Neumann ihr Klavier auf sein Innerstes und entlockt Rahmen und Saiten flirrende, schmirgelnde Klänge.
Auf ihrem Solodebüt „Dreamscapes“ verbindet die Cellistin Dobrawa Czocher Traditionen der klassischen Musik mit neoklassischen, lebendigen Klängen.
Billy Nomates hat mit „Cacti“ ihr zweites Album veröffentlicht. Ihre Musik ist eine lebendige, synthetische Variante von Soul-Pop.
Das Duo Xenofox liefert mit dem Album „The Garden Was Empty“ einen hypnotischen und basslastigen Mix aus Hi-Hat-Expressionismus und entgrenztem Rock.