taz.de -- Antisemitismus in Deutschland: Das Schweigen brechen
Der Hass gegen Jüdinnen:Juden in Deutschland lebt. Er zieht seine Fäden durch die gesamte Gesellschaft – mal verhalten, mal ganz offen.
Auch 2021 wurde es wieder behauptet: Jüdinnen:Juden seien angeblich überprivilegiert und überrepräsentiert, [1][der deutsche Staat bekämpfe den Antisemitismus] konsequent und habe auch die Geschichte des industriellen Massenmordes an Jüdinnen:Juden vorbildhaft aufgearbeitet. Dabei wusste Adorno schon, dass Aufarbeitung in der deutschen Gesellschaft nicht meint, den Bann des Vergangenen ernsthaft durch helles Bewusstsein zu brechen, sondern darunter einen Schlussstrich ziehen zu wollen.
Der aktuelle Wahlkampf straft nicht nur jene Lügen, die denken, dass Antisemitismus aufrichtig bekämpft oder die Auseinandersetzung mit der Shoa in der Gesamtgesellschaft ernsthafter betrieben werde. Er führt auch vor, dass deutsche Aufarbeitung bedeutet, sich selbst zu loben, die Äußerung von [2][Antisemitismus exklusiv bestimmten Gruppen zuzuschreiben], die Kritik damit von sich zu distanzieren und jegliche Kontinuitäten zu verleugnen.
Alle sind geläutert, Schuld sind die „Geflüchteten“, die „Linken“, die „Rechten“, nur nie man selbst oder das eigene Umfeld, und dann die Fahnen raus, wenn [3][das deutsche Olympiateam] eine weitere Goldmedaille zählt. Willkommen im Wahljahr 2021, in dem antisemitische Codes wie [4][“Globalisten“] als legitimes Mittel des politischen Diskurses gelten.
Willkommen im Wahljahr, in dem Politiker:innen die Stimmen von [5][verschwörungsideologischen Gruppierungen], die während der Pandemie antisemitische Feindbilder bekämpft und die Shoa relativiert haben, durch Dialog und Verständnis gewinnen wollen. Willkommen im Wahljahr, in dem jede:r sich gegen Antisemitismus positioniert, ihn aber immer nur bei den anderen sehen will.
Willkommen im Wahljahr, in dem es zu massiven antisemitischen Ausschreitungen kam und viele progressive Gruppen dazu schwiegen. Während der Kampf gegen Antisemitismus von Rechtspopulist:innen instrumentalisiert werden konnte. Willkommen im Wahljahr, bei dem doch alles beim Alten ist, obwohl wir so dringend Aufbrüche brauchen.
30 Jul 2021
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