taz.de -- Antisemitismus in Deutschland: Das Schweigen brechen

Der Hass gegen Jüdinnen:Juden in Deutschland lebt. Er zieht seine Fäden durch die gesamte Gesellschaft – mal verhalten, mal ganz offen.
Bild: Kundgebung gegen Antisemitismus am 25.7.2021 in Berlin-Neukölln

Auch 2021 wurde es wieder behauptet: Jüdinnen:Juden seien angeblich überprivilegiert und überrepräsentiert, [1][der deutsche Staat bekämpfe den Antisemitismus] konsequent und habe auch die Geschichte des industriellen Massenmordes an Jüdinnen:Juden vorbildhaft aufgearbeitet. Dabei wusste Adorno schon, dass Aufarbeitung in der deutschen Gesellschaft nicht meint, den Bann des Vergangenen ernsthaft durch helles Bewusstsein zu brechen, sondern darunter einen Schlussstrich ziehen zu wollen.

Der aktuelle Wahlkampf straft nicht nur jene Lügen, die denken, dass Antisemitismus aufrichtig bekämpft oder die Auseinandersetzung mit der Shoa in der Gesamtgesellschaft ernsthafter betrieben werde. Er führt auch vor, dass deutsche Aufarbeitung bedeutet, sich selbst zu loben, die Äußerung von [2][Antisemitismus exklusiv bestimmten Gruppen zuzuschreiben], die Kritik damit von sich zu distanzieren und jegliche Kontinuitäten zu verleugnen.

Alle sind geläutert, Schuld sind die „Geflüchteten“, die „Linken“, die „Rechten“, nur nie man selbst oder das eigene Umfeld, und dann die Fahnen raus, wenn [3][das deutsche Olympiateam] eine weitere Goldmedaille zählt. Willkommen im Wahljahr 2021, in dem antisemitische Codes wie [4][“Globalisten“] als legitimes Mittel des politischen Diskurses gelten.

Willkommen im Wahljahr, in dem Politiker:innen die Stimmen von [5][verschwörungsideologischen Gruppierungen], die während der Pandemie antisemitische Feindbilder bekämpft und die Shoa relativiert haben, durch Dialog und Verständnis gewinnen wollen. Willkommen im Wahljahr, in dem jede:r sich gegen Antisemitismus positioniert, ihn aber immer nur bei den anderen sehen will.

Willkommen im Wahljahr, in dem es zu massiven antisemitischen Ausschreitungen kam und viele progressive Gruppen dazu schwiegen. Während der Kampf gegen Antisemitismus von Rechtspopulist:innen instrumentalisiert werden konnte. Willkommen im Wahljahr, bei dem doch alles beim Alten ist, obwohl wir so dringend Aufbrüche brauchen.

30 Jul 2021

LINKS

[1] https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/gegen-antisemitismus-1685974
[2] /Antisemitismus-in-Deutschland/!5767774
[3] https://www.ardmediathek.de/video/erste-goldmedaillen-fuer-deutschland/br-fernsehen/Y3JpZDovL2JyLmRlL3ZpZGVvLzkzMDNhOTNiLTNiM2UtNGRmOS04YTgxLTJmNGQwYzFjZjdiZA/
[4] /Vorwuerfe-gegen-CDU-Mann-Maassen/!5771000
[5] /Antisemitismus-unter-Coronaleugnern/!5734818

AUTOREN

Monty Ott

TAGS

Schwerpunkt Rassismus
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Antisemitismus
Schwerpunkt Rechter Terror
Diversity
Juden
Rechte Gewalt
Antisemitismus
Annalena Baerbock
Politisches Buch
Antisemitismus
Schwerpunkt Meta
Verschwörungsmythen und Corona
Buch
Schwerpunkt Coronavirus
BDS-Movement
Polizei Hessen

ARTIKEL ZUM THEMA

Forschung und Kampf gegen Rechts: Mittel gegen Antisemitismus

Antisemitismus und Rechtsextremismus sind kein Randphänomen. Das Forschungsministerium will mehr Geld für Prävention bereitstellen.

Shitstorm gegen Baerbock wegen N-Wort: Gepflegte Feindbilder

Grünen-Chefin Baerbock benutzt in einer Talkshow das N-Wort und bittet vor Ausstrahlung um Entschuldigung dafür. Es folgt: ein rechter Shitstorm.

Politisches Buch über Antisemitismus: Anekdoten statt Analyse

Der Historiker Per Leo polemisiert in seinem Buch „Tränen ohne Trauer“ gegen „post-arischen-Streberzionismus“ beim Umgang mit der NS-Vergangenheit.

Protest gegen Antisemitismus: Beleidigt und bespuckt

Die neu gegründete Initiative gegen Antisemitismus ruft am Sonntag zur Kundgebung in Neukölln auf. Auch der Bezirksbürgermeister will teilnehmen.

Hate Speech im Netz: Wenn Maschinen moderieren

Hasskommentare sind in den sozialen Medien allgegenwärtig. Sie zu melden ist oft frustrierend – denn hinter den Entscheidungen stecken Algorithmen.

Die Basis-Kandidat Sucharit Bhakdi: Impfskepsis und Antisemitismus

Sucharit Bhakdi ist Bundestagskandidat der „Basis“. Nach antisemitischen Aussagen beenden sein Verlag und ein TV-Sender die Zusammenarbeit mit ihm.

Roman „Levys Testament“ von Ulrike Edschmid: Alles ist Jetzt

Ulrike Edschmids Œuvre führt vor, wie der Blick auf die Vergangenheit zu Literatur wird. In „Levys Testament“ tun sich jedoch Grenzen auf.

Aktuelle Nachrichten in der Coronakrise: Urlaubsländer werden Risikogebiete

Griechenland, die Niederlande und Teile Dänemarks werden ab Sonntag Risikogebiete. Antisemitische Ergüsse des umstrittenen Biologen Bhakdi haben Konsequenzen.

Autorin über modernen Antisemitismus: „Woke? No fucking way!“

Politisch zu sein ist mehr denn je von Coolness geprägt, sagt die Autorin Mirna Funk. Antizionismus habe sich sehr gut eingefügt in den Trend des Gerechtigkeitskämpfers.

Rechte Chats bei hessischer Polizei: Schlimmer als befürchtet

Der Kommissionsbericht über rechte Chats in der hessischen Polizei ist erschreckend. Schwarz-grün in Wiesbaden muss jetzt endlich handeln.