taz.de -- Diversitäts-Prozess: Endlich alle Geschichten erzählen

Berlins Vielfalt soll sich auch im Kulturbetrieb der Stadt vollständig abbilden. Das Stadtmuseum Berlin geht dabei modellhaft voran.
Bild: Praktizierte Vielfalt: Beim Projekt „Märkisches Museum trifft Rykestraße 17“ lud die Stiftung Stadtmuseum die BewohnerInnen eines Wohnhauses in Prenzlauer Berg dazu ein, ihre eigenen Geschichten in Form von „Mini-Ausstellungen im Boxenformat“ zu erzählen

Der Satz provoziert: „Berlins Kulturbetrieb ist längst nicht so divers wie die Stadt Berlin“, steht über dem Webauftritt des [1][Projektbüros „Diversity Arts Culture“]. Nicht divers? Unser quirliger, kosmopolitischer Kulturbetrieb? Ja, sagt das Team der „Konzeptions- und Beratungsstelle für Diversitätsentwicklung“, die von der Senatskulturverwaltung 2017 unter dem Dach der Kulturprojekte Berlin GmbH gegründet wurde. Und: „Höchste Zeit, das zu ändern!“

Verwirklichen kann „Diversity Arts Culture“ diesen Anspruch seit einigen Monaten im [2][Stadtmuseum Berlin]. Die Stiftung, deren fünf Standorte der 2016 angetretene Direktor Paul Spies entstauben und mit einer zeitgemäßen Sprache bespielen will, kann seit dem Herbst für 18 Monate auf die Expertise zweier Beraterinnen zurückgreifen. Bei der Jahres-Pressekonferenz des Stadtmuseums am Donnerstag hatten Miriam Siré Camara und Nurêy Özer Gelegenheit, ihre Arbeit vorzustellen.

„Diversitätsbewusste Organisationsentwicklung“ nennt sich der Prozess, den Camara und Özer anstoßen wollen. Je weiter er voranschreitet, umso mehr soll sich die Pluralität der Stadtgesellschaft in den Inhalten des Museums, aber auch in seiner personellen Zusammensetzung widerspiegeln – und natürlich in der Zusammensetzung des Publikums, das sich hier wiederfinden soll: „Ich bin Berlinerin und möchte dass auch meine Geschichte als Schwarze Frau erzählt wird“, bringt Miriam Camara es auf den Punkt.

Diversität hat dabei ganz unterschiedliche Aspekte. Klar geht es um Fragen von Herkunft und Zugehörigkeit, darum, wie rassistische Diskriminierung beendet werden kann. Den kuratorischen Prozess für die große Fontane-Ausstellung, die im September starten soll, wollen die beiden auch im Hinblick auf den kolonialistischen Kontext begleiten, in dem der vor 200 Jahren geborene Autor lebte und schrieb. Das Stadtmuseum gehört auch einer Arbeitsgruppe an, die zusammen mit Initiativen und AktivistInnen die Kolonialgeschichte Berlins aufarbeiten soll.

Unsicherheit und Aha-Effekt

Aber es geht genauso um Barrierefreiheit für Menschen mit körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen. „Im Rahmen der Bestandsanalyse sind wir mit MitarbeiterInnen des Museums durch die Ausstellung zur Novemberrevolution gegangen und haben geschaut, ob die Schilder aus allen Perspektiven lesbar sind“, berichtet Camara.

Entscheidend für den Prozess ist die Arbeit mit der Personalabteilung: Nach welchen Kriterien wird bei einer Stellenausschreibung verfahren? Werden Menschen mit Rassismuserfahrung ermuntert, sich zu bewerben, wird proaktiv versucht, Genderdiversität herzustellen? Nimmt das mit der Auswahl betraute Personal den eigenen Bias wahr? Auch Klassismus sei hier zu hinterfragen, so Camara: „Muss es wirklich immer ein Hochschulabschluss sein oder können vielleicht auch andere Kompetenzen den Ausschlag für eine Einstellung geben?“

Ja, in den Workshops, die sie bisher geleitet haben, seien sie auf Widerstände gestoßen, sagen die beiden, auf Unsicherheiten, aber auch auf „Aha-Effekte, Aufatmen, Offenheit für Veränderung“. Ihnen kommt entgegen, dass das Stadtmuseum sich ohnehin in Bewegung befindet: Für die Betreuung der künftigen Berlin-Ausstellung im Humboldt Forum hat die Kulturverwaltung fast 30 neue Stellen bewilligt, und von 2021 bis 2025 sollen das Märkische Museum sowie das benachbarte Marinehaus zum „Museums- und Kreativquartier am Köllnischen Park“ umgestaltet werden.

„Vor diesem Hintergrund gibt es eine größere innere Bereitschaft, sich Expertise ins Haus zu holen“, sagt Nurêy Özer. Die Leitung des Stadtmuseums stehe voll hinter dem Prozess, der von „Diversity Arts Culture“ hier und im Theater an der Parkaue modellhaft durchgeführt wird. „Natürlich wäre es wünschenswert“, so Özer, „wenn nicht nur Kulturbetriebe diese neue Perspektive übernehmen. Es ist gut, dass wir diese Einrichtung jetzt mitgestalten können, aber das darf keine Insel bleiben.“

25 Jan 2019

LINKS

[1] https://www.diversity-arts-culture.berlin/
[2] https://www.stadtmuseum.de/

AUTOREN

Claudius Prößer

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