taz.de -- Deutsche Bahn erhöht Preise: Ohne Fahrgastabitur wird's teuer

Mit dem Fahrplanwechsel erhöht die Bahn die Preise – trotz Verspätungen. Die Züge fahren auf Verschleiß, die Bundesregierung schaut tatenlos zu.
Bild: Die Bahn kommt – nur wann?

Berlin taz | Die Deutsche Bahn wird wieder einmal zu spät kommen. Derzeit entwickelt sie ein Online-Tool, damit KundInnen ihre Ansprüche wegen Zugverspätungen nicht mehr über Papierformulare abwickeln müssen. Start: unbekannt. Andere haben das längst als Geschäftsmodell entdeckt.

Seit Oktober können Interessierte unter [1][„bahn-buddy.de“] ihre Erstattungen des Ticketpreises sofort kassieren und das Eintreiben des Geldes der Firma RightNow überlassen. An dem Düsseldorfer Unternehmen ist der illustre Investor Carsten Maschmeyer beteiligt, der mit dem umstrittenen Finanzvertrieb AWD und dessen Provisionseinnahmen schwer reich geworden ist. Provisionen fließen auch bei Bahn-Buddy. „Wir bekommen im Schnitt 12 Prozent der Rückerstattung“, sagt Geschäftsführer Benedikt Quarch.

Am kommenden Sonntag ist Fahrplanwechsel bei der Deutschen Bahn, dann tritt der Winterfahrplan 2018/19 in Kraft. Damit verbunden sind eine Reihe neuer Angebote, etwa die Direktverbindung Berlin-Wien. Doch das Hauptproblem, die massenhaften Verspätungen, bleibt wohl bestehen.

Generell haben Fahrgäste bei einer Verspätung von mehr als einer Stunde Anspruch auf die Erstattung von 25 Prozent des Ticketpreises, bei mehr als zwei Stunden sind es 50 Prozent. „Die Anzahl sogenannter Fahrgastrechtefälle zwischen Januar und Juni 2018 lag bei einer Million“, teilt eine Sprecherin der Bahn auf Anfrage mit. Hunderttausende habe darauf verzichtet, die Rückerstattung geltend zu machen. Vielen ist es zu aufwändig, das Geld einzutreiben.

2,9 Prozent teurer

Mit dem Fahrplanwechsel am 9. Dezember erhöht die Bahn auch die Preise, wieder einmal. Das reguläre Ticket wird im Schnitt um 1,9 Prozent teurer. Eine Fahrkarte für die neue Schnellfahrtstrecke München-Berlin kostet in der zweiten Klasse 153 Euro statt bisher 150. Für die Strecke Frankfurt- Hamburg sind mit 128 Euro künftig zwei Euro mehr fällig. Die Bahncard 50 (stolze 255 Euro für die 2. Klasse) und die Bahncard 25 (ab 19,90 Euro) werden nicht teurer. Die Preise für Streckenzeitkarten und die Bahncard 100 steigen laut Bahn um durchschnittlich 2,9 Prozent.

Gleichzeitig bringt die Bahn nicht die Leistung, für die KundInnen zahlen, kritisiert Gregor Kolbe vom Verbraucherverband Bundeszentrale: „Angesichts der nie dagewesenen Verspätungen und Zugausfälle halten wir die Preiserhöhung für falsch“, sagt Kolbe. „Die Verspätungsraten sind so schlimm wie noch nie. Die Bahn hat die Pflicht, das erst mal in Ordnung zu bringen.“

Dass die Tickets durchaus auch billiger geworden sind, sagt Andreas Schröder vom Fahrgastverband Pro Bahn. Das Sparticket oder das Supersparticket sind durchaus günstig – wenn Interessierte sie denn finden. „Das Tarifsystem ist extrem unübersichtlich“, sagt Schröder und spottet: „Ohne Fahrgastabitur ist das nicht zu durchschauen.“ Auch Hilfe vor Ort finden Fahrgäste immer seltener, denn von den einst mehr als 1.000 DB-Reisezentren mit Beratungsangeboten gibt es nur noch rund 400, Tendenz fallend.

Der Hintergrund: Wenn die Bahn Ausschreibungen im Nahverkehr gegen Wettbewerber verliert, darf sie vor Ort keine Fahrkarten für den Nahverkehr verkaufen. „Dadurch kann es sein, dass der Betrieb eines Reisezentrums unwirtschaftlich wird und die DB sich von dem Standort zurückzieht“, sagt eine Bahnsprecherin. So wie bald im niederrheinischen Mönchengladbach oder im schwäbischen Vaihingen: „In den meisten Fällen übernimmt dann der Wettbewerber das Reisezentrum oder der Fahrkartenverkauf wird über Agenturen gewährleistet“. Wer aber kein Ticket vor Fahrantritt erwirbt, etwa weil er oder sie mit dem Kartenautomat nicht zurecht kommt, muss ab Sonntag 19 Euro zusätzlich zum regulären Preis zahlen, wenn die Karte im Zug gekauft wird.

Auch der ökologische Verkehrsclub Deutschland (VCD) sieht die Preisentwicklung kritisch. Allerdings sind für die Preise nicht nur die Manager verantwortlich. Auch Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) könnte daran etwas ändern, betont Philipp Kosok, Bahnexperte des VCD. „Hohe Kosten und Abgaben verhindern niedrigere Ticketpreise“, sagt er. Nach Angaben des VCD zahlen KundInnen im Schnitt im Fernverkehr pro 100 Kilometer einen Preis von 12 Euro, dabei sind Rabatte wie die Bahncard und Sparpreise berücksichtigt. Von den 12 Euro entfallen 2 Euro auf die Mehrwertsteuer, 2 Euro auf die Gebühr für die Nutzung der Schienen, die sogenannte Trassengebühr, sowie 7 Euro auf Kosten der Bahn. Einen Euro macht die Bahn Gewinn. „Die Bundesregierung hätte zwei Stellschrauben, um die Preise sofort zu senken: die Mehrwertsteuer und die Trassenpreise“, sagt Kosok.

In anderen europäischen Ländern schont der Fiskus die Bahn. Während in Deutschland im Fernverkehr mit 19 Prozent der volle Mehrwertsteuersatz fällig wird, wird er in mehr als der Hälfte der EU-Staaten reduziert. Dänemark, Irland und Großbritannien erheben im Inlandsverkehr gar keine Mehrwertsteuer. Die auch „Schienen-Maut“ genannten Trassenpreise für die Nutzung der Gleise sorgen ebenfalls für teure Tickets. Im vergangenen Juli hat der Bund die Trassenpreise im Güterverkehr fast auf die Hälfte gesenkt. So soll der Anreiz steigen, Güter von der Straße auf die Schiene zu verlagern. Doch auch für den Personenverkehr sollte die Trassengebühr gesenkt werden, fordert Kosok.

Bis 2030 will die Bundesregierung die Fahrgastzahlen verdoppeln. Doch sie unternimmt nicht genug, um die dafür nötigen Kapazitäten zu schaffen, kritisieren der VCD und Fahrgastverbände wie die „Allianz pro Schiene“. Verspätungen, Zugausfälle, überfüllte Waggons und schlechter Service führen zu immer größerem öffentlichem Unmut. „Bei der Lösung der Probleme ist die Bundesregierung gefragt, die Bahn hat nur einen begrenzten Handlungsspielraum“, sagt Kosok.

Die Bahn hinkt erheblich mit den Investitionen hinterher, sie müsste viel mehr in den Ausbau der Strecken stecken, in mehr Züge und mehr Personal. In diesem Jahr erwartet der Bahnkonzern zwar einen Betriebsgewinn von 2,1 Milliarden Euro. Damit allein aber können die versäumten Investitionen nicht nachgeholt werden. „Die Bahn kann ihre Probleme nur in den Griff bekommen, wenn der Bund mehr Geld zur Verfügung stellt“, sagt Kosok. Damit mehr Züge fahren, müssen keine Strecken wiederbelebt oder neu gebaut werden. Schon eine Modernisierung würde viel bringen. Mithilfe des hochmodernen Zugsicherungssystems European Train Control System (ETCS) könnten Strecken in kürzeren Abständen von mehr Zügen befahren werden. Bislang aber ist es kaum im Einsatz.

Bis was kaputt ist

Nicht nur Fahrgastlobbyisten finden, dass die Bundesregierung die Bahn vernachlässigt. Falsche Vereinbarungen führten dazu, dass die Bahn auf Verschleiß fahre, kritisiert der Bundesrechnungshof. So ist die Bahn zwar für die Pflege ihrer Infrastruktur verantwortlich, den Ersatz bei einem Schaden zahlt aber der Bund. Für Bahnmanager lohnt es sich daher, auf Reparaturen zu verzichten, bis etwas kaputt ist. Die Rechnungsprüfer werfen dem Verkehrsminister außerdem vor, nicht zu kontrollieren, ob Bundesmittel wirtschaftlich verwendet werden – und wie genau Bahn-Tochterfirmen Milliardenzuschüsse für den Erhalt der Infrastruktur einsetzen.

Und daran wolle das Ministerium auch nichts ändern, moniert Rechnungshofpräsident Kay Scheller: „Es besteht die Gefahr, dass sich der Zustand der Eisenbahninfrastruktur trotz steigender Bundesmittel weiter verschlechtert.“

8 Dec 2018

LINKS

[1] https://www.bahn-buddy.de/

AUTOREN

Anja Krüger

TAGS

Deutsche Bahn (DB)
Bundesrechnungshof
Schwerpunkt Klimawandel
Verkehr
Deutsche Bahn (DB)
Deutsche Bahn (DB)
Spanien
Bahn
Öffentlicher Nahverkehr
Verkehrspolitik
Bahn
Warnstreik
Deutsche Bahn (DB)
EVG
Bahn
Bahn
Bahn

ARTIKEL ZUM THEMA

Digitalisierung bei der Deutschen Bahn: Start-Ups füllen Lücken der Bahn

Digital ist die Bahn zwar schon, aber mancher Service läuft noch analog. Start-ups wissen das zu nutzen und machen ein eigenes Angebot.

Deutsche Bahn spart bei Entschädigungen: Fahrgäste haben das Nachsehen

Die EU-Verkehrsminister haben sich darauf geeinigt, dass Zugverspätungen in Fällen von höherer Gewalt keinen Entschädigungsgrund mehr darstellen.

Buchungs-Bug bei spanischer Bahn: Ticketkauf mit Tücken

Die Internetseite der Staatsbahn Renfe verhindert mit Fehlermeldungen Buchungen. Die Grünen fordern Buchungssystem für die EU.

Deutsche Bahn investiert kräftig: Züge sollen jetzt pünktlich kommen

Vorstand Pofalla kündigt 10 Milliarden Euro Investitionen für Verbesserungen im Schienenverkehr an. Der Verband Pro Bahn bleibt skeptisch.

Öffentlicher Nahverkehr: Wenn Bus und Bahn zu weit weg sind

Jeder Vierte in Mecklenburg-Vorpommern ist vom öffentlichen Verkehr abgehängt. In Hessen und den Stadtstaaten sieht es besser aus.

Kommentar Kritik an Bahnmanagern: Geld statt Flussdiagramme

Mit seiner Kritik am Bahnvorstand verschleiert Verkehrsstaatssekretär Ferlemann nur die eigene Verantwortung für das Bahn-Desaster.

Sitzung der DB-Aufsichtssräte: Bahn will neue Schulden machen

Das Megaprojekt Stuttgart 21 verschlingt Milliarden. Gleichzeitig hat die Deutsche Bahn nicht genug Geld, um ihr Angebot zu modernisieren.

Bahnstreik verursacht Großstau in NRW: Chaos auf den Autobahnen

Zwischen Dortmund und Köln fuhr am Montagmorgen kaum ein Zug. Der Umstieg auf das Auto brachte aber auch nichts.

Warnstreik bei der Deutschen Bahn: Bundesweit gibt's Stillstand

Nach den gescheiterten Tarifverhandlungen der Eisenbahner- und Verkehrsgewerkschaft kommt es am Montagmorgen in ganz Deutschland zu Zugausfällen.

Arbeitskampf bei der Deutschen Bahn: DB-Streiks am Montagmorgen

Die Gewerkschaft EVG und die Deutsche Bahn konnten sich nicht auf einen Tarifvertrag einigen. Es muss mit Zugausfällen gerechnet werden.

Kommentar Kurs der Deutschen Bahn: Immerhin kommt man an

Bei der Bahn sind die Weichen falsch gestellt: Der Konzern setzt auf große Einkaufsbahnhöfe statt für mehr Angebot in der Fläche zu sorgen.

Erstattungen wegen Verspätung: Bahn steckt noch im Papierzeitalter

Fahrgäste verzichten auf Geld, das ihnen die Bahn wegen einer Verspätung erstatten müsste – auch weil das Prozedere sehr aufwendig ist.

Deutsche Bahn will besser werden: Immerhin der Presse-Zug ist pünktlich

Es soll mehr Züge, mehr Personal und mehr Investitionen geben. Aber den Preiskampf mit den Billigfliegern will Vorstandschef Lutz nicht aufnehmen.