taz.de -- Die Türkei und der Krieg in Syrien: Assad ist nur noch halb so schlimm

Ankara lotet neue Möglichkeiten der türkischen Syrienpolitik aus. Der Konflikt mit den USA eskaliert, doch andere Verbündete warten bereits.
Bild: Im Gespräch mit der Weltpresse: Binali Yıldırım am Samstag in Istanbul

Istanbul taz | „Wir stellen fest, dass jetzt auch das Assad-Regime bemerkt hat, wie gefährlich die Kurden in Syrien sind“. Diese Bemerkung des türkischen Ministerpräsidenten Binali Yıldırım vor einer ausgewählten Gruppe internationaler Journalisten am Samstag in Istanbul könnte den Beginn einer neuen Syrienpolitik der Türkei markieren.

„Unser Ziel ist es“, sagte Yıldırım weiter, „dazu beizutragen, dass Syrien nicht in ethnisch oder religiös definierte Gebiete zerfällt. Dafür sind wir auch bereit, Baschar al-Assad für eine Übergangszeit zu akzeptieren“. Man müsse auch mit Assad reden, sagte Yıldırım bei seiner ersten größeren Begegnung mit der ausländischen Presse, seit er Ende Mai zum Regierungschef ernannt wurde.

Bislang hatte die Türkei es strikt abgelehnt, mit Assad zu reden, und für jede Verhandlungslösung zuerst die Abdankung des syrischen Diktators verlangt. Schließlich gehört Präsident Recep Tayyip Erdoğan zu den wichtigsten Unterstützern der Assad-Gegner und ist auch nicht davor zurückgeschreckt, islamistisch-dschihadistische Gruppen zu finanzieren und zu bewaffnen. Doch diese Position ist hinter den Kulissen schon länger ins Wanken geraten und durch verschiedene Ereignisse der letzten Wochen weiter in Frage gestellt worden.

Dazu gehören an erster Stelle die neuesten Kämpfe zwischen den syrischen Kurden und dem Assad-Regime um die Stadt Hasaka, die am südlichen Rand des größten kurdischen Kantons Kamischli liegt.

Jahrelang hatten Kurden und Assad-Truppen in Hasaka mehr oder weniger friedlich koexistiert, doch Mitte letzter Woche brachen heftige Kämpfe zwischen beiden Parteien aus. Als diese eskalierten, setzte Assad auch seine Luftwaffe ein und ließ kurdische Gebiete in Hasaka bombardieren.

Das rief wiederum die USA auf den Plan. Als enge Verbündete der kurdischen YPG-Miliz, für die USA so etwas wie ihre Bodentruppen im Kampf gegen den IS, warnten sie das Assad-Regime, weiter gegen die Kurden vorzugehen. Außerdem seien US-Spezialtruppen in der Gegend stationiert. Als die Assad-Bomber dennoch erneut über Hasaka auftauchten, griffen US-Kampfflugzeuge ein und drängten die syrischen Bomber ab.

Eskalation des Konflikts mit den USA

Die Türkei wirft den USA seit längerem vor, ihre Zusammenarbeit mit der syrisch-kurdischen YPG sei gleichbedeutend mit einer Unterstützung der türkisch-kurdischen PKK, weil die YPG ein hundertprozentiger Ableger der PKK sei.

Dieser Konflikt eskalierte, als die USA auch Operationen der YPG westlich des Euphrats unterstützten – für die Türkei eine rote Linie, die die Kurden nicht überschreiten dürfen, weil sie dann leicht die gesamte türkisch-syrische Grenze kontrollieren könnten.

Ein Zusammenhängendes syrisch-kurdisches Autonomiegebiet will die Türkei aber unbedingt verhindern, weil sie befürchtet, dass dies Ausstrahlungen auf die kurdischen Gebiete in der Türkei haben könnte.

Da die USA offenbar nicht gewillt sind, auf diese türkischen Bedenken Rücksicht zu nehmen und gleichzeitig Assad-Truppen jetzt die Kurden angreifen, erscheint das syrische Regime für die Türkei nun offenbar nicht mehr so schlimm wie früher.

Hinter dem Meinungsumschwung stehen aber auch Verhandlungen mit Russland und Iran. Seit Präsident Erdoğan vor zwei Wochen seinen Kollegen Wladimir Putin besuchte und Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu am Freitag überraschend in Teheran auftauchte, wird an der neuen Syrienpolitik der Türkei gearbeitet.

„Wir werden uns aktiver um eine Lösung in Syrien kümmern“, versprach Yıldırım am Samstag. Was genau er damit meint, wird er wohl als erstes dem US-Vizepräsidenten Jo Biden erklären, der am Mittwoch in Ankara erwartet wird.

21 Aug 2016

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Jürgen Gottschlich

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