taz.de -- Nach den Anschlägen in Brüssel: Nicht jeder trauert
Einige Jugendliche befürworten die Terroranschläge. Es sind nur wenige, doch sie stoßen die Diskussion über „Parallelgesellschaften“ wieder an.
Brüssel taz | Die Trauer für die Opfer der Anschläge vom 22. März wird anscheinend nicht von allen in Belgien geteilt. Im Brüsseler Stadtteil Anderlecht mit einem hohen maghrebinischen Bevölkerungsanteil störten Jugendliche am Mittwoch mittag die landesweite Schweigeminute für die Toten und griffen Journalisten an. Die Polizei nahm einen von ihnen fest.
Der Vorfall ist nicht repräsentativ für die nordafrikanische Gemeinschaft in Belgien, aber bei einer Radiodiskussion am Mittwoch abend sagte eine Journalistin des Senders RTL-Radio, in mehreren Stadtteilen hätten „Jugendliche mit Migrationshintergrund“ die Anschläge begrüßt.
Für Unruhe sorgte bereits die Reaktion einiger Bewohner des Stadtteils Molenbeek am Freitag vergangener Woche auf die Verhaftung des von dort stammenden Salah Abdeslam als mutmaßlicher Beteiligter an den Terroranschlägen vom 13. November 2015 in Paris. Junge Leute sammelten sich vor den Polizisten und bewarfen sie mit Flaschen und Steinen.
Übergriffe auf Journalisten sind aus Molenbeek bereits im Januar gemeldet worden. Im Viertel Schaerbeek waren nach den Pariser Anschlägen vier Mädchen und zwei Jungen von ihrer Schule suspendiert worden, weil sie die damalige Schweigeminute für die Pariser Toten gestört hatten.
Die Mehrheitsreaktion in Belgien auf die Terroranschläge – Trauer und Solidarität mit den Opfern – ist auch unter der nordafrikanischen Gemeinschaft, die selbst mehrere Opfer zu beklagen hat, Mainstream. Doch die wiederholten Vorfälle, die eine kleine Minderheit betreffen, sind Wasser auf die Mühlen gewisser politischer Diskussionen, die jetzt in Belgien beginnen: Ghettoisierung, „Parallelgesellschaften“, die Wurzeln islamistischer Radikalisierung und die möglichen familiären, klanbasierten oder kriminellen Unterstützerkreise der Attentäter von Paris und Brüssel.
24 Mar 2016
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