taz.de -- Kolumne Macht: Homo-Ehe und Volkes Stimme
Das liberale Milieu will Volksabstimmungen, die Regierung setzt Sonderermittler ein. Wer verteidigt den besten Teil des Parlametarismus?
Für lesbische und schwule Paare sind die Rückzugsgefechte von Gegnern der Homo-Ehe empörend und beleidigend, aber es müsste doch ein Trost sein, dass diese auf verlorenem Posten stehen. Wer jetzt noch den Kindergarten besucht, wird einst bei der eigenen Hochzeit die Diskriminierung von Homosexuellen genauso unbegreiflich finden wie wir heute die frühere Benachteiligung unehelicher Kinder. Davon bin ich überzeugt.
Schaut man sich die Entwicklung der letzten Jahrzehnte an, dann sind die Signale eindeutig. Am Ausgang des Kampfes um die Gleichstellung homosexueller Partnerschaften zweifle ich nicht – aber der Weg dahin ist unklar.
Jetzt werden wieder mal Forderungen nach einer Volksabstimmung laut, unterfüttert mit Hinweisen auf das irische Vorbild. Klingt überzeugend, aber ich finde das spontan trotzdem keine gute Idee.
Es ist mir unbegreiflich, weshalb ausgerechnet das liberale Milieu so dringend die Möglichkeiten der direkten Demokratie vergrößern will. Ich halte das nicht einmal in erster Linie deshalb für falsch, weil die Ergebnisse von Plebisziten einen so oft an Volkes Stimme verzweifeln lassen.
Stichwort: das Verbot des Minarettbaus in der Schweiz. Sondern vor allem, weil ich sehr gerne meine politischen Ansichten für einen begrenzten Zeitraum an eine Partei delegieren will, deren Programm wenigstens halbwegs meinen grundsätzlichen Überzeugungen entspricht. Das finde ich den besten Teil des parlamentarischen Systems.
Demokratie braucht Fachleute
Nicht, weil ich denke, dass die meisten anderen Leute dümmer sind als ich. Auch nicht, weil ich meinem eigenen Urteil nicht traute. Sondern weil mich die Einarbeitung in die Bereiche, von denen ich inzwischen wirklich etwas verstehe, gelehrt hat, dass Probleme im Allgemeinen komplizierter sind, als es sich auf einem Stimmzettel darstellen lässt. Demokratie braucht Fachleute. Nur Diktaturen können notfalls auch ohne Experten auskommen, zumindest eine Zeit lang.
Allerdings müssen sich alle an die vereinbarten Regeln halten, auch und vor allem die gewählten Volksvertreter. Die Selbstentmachtung des Parlaments ist im System nicht vorgesehen. Genau das aber geschieht seit Jahren – und hat jetzt ein Ausmaß erreicht, das ich nicht für möglich gehalten habe. Nämlich bei der Affäre um die Zusammenarbeit des BND mit amerikanischen Diensten.
Eine Pervertierung des Systems
Die Bundesregierung möchte durchsetzen, dass nur ein „Sonderermittler“ die sensiblen Listen mit Suchbegriffen des US-Geheimdienstes NSA einsehen soll. Sie vertraut einem – möglicherweise gar bezahlten – Beauftragten mehr als den zuständigen parlamentarischen Gremien. Das ist eine Pervertierung des Systems. Und das widerspricht dem Geist des Grundgesetzes mehr, als jede Volksabstimmung das tun könnte.
Sonderermittler sind vertrauenswürdiger als Parlamentarier? Wenn das so ist, dann ist der Zeitpunkt erreicht, zu dem Volksabstimmungen vielleicht wirklich das Kleinste aller Übel sind. Ob es nun um die Homo-Ehe geht, um den Fortbestand der Europäischen Union und Währung oder um die Wiedereinführung der Todesstrafe.
Wünschenswert finde ich das nicht. Aber wenn die Abgeordneten sich weiterhin demütigen lassen und Zumutungen wie jetzt in der NSA-Affäre nicht parteiübergreifend zurückweisen: Dann zerstören sie den Parlamentarismus. Und dann sind Volksabstimmungen leider tatsächlich die letzte Brandmauer der Demokratie.
Weit ist es gekommen. Das hätten sich die Eltern des Grundgesetzes nicht träumen lassen.
29 May 2015
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