taz.de -- Kolumne Macht: Abstraktes verstört nicht

Ein Finanzbeamter zündet eine geplante Unterkunft für Asylbewerber an. Er wollte etwas Gutes tun. Er musste sich mit dieser Haltung nicht allein fühlen.
Bild: Das könnte jeder sein: fer Täter mit verpixeltem Gesicht

Vielleicht muss man ja dankbar sein, dass der Angeklagte vor Gericht nicht gesagt hat, er habe „doch nur spielen“ wollen. Stattdessen erklärte er: „Ich dachte, ich tue etwas Gutes.“ Ein herzerwärmender Satz.

Die gute Tat des 39-jährigen Finanzbeamten: [1][Er zündete ein Haus in seiner Nachbarschaft an], in das einen Tag später sechs irakische Flüchtlinge hätten einziehen sollen. Die eigene Familie, aber auch Frauen und Kinder der Umgebung hatte er vor den Asylbewerbern schützen wollen. Und war damit zunächst ganz erfolgreich, denn das Gebäude war nach dem Brand unbewohnbar.

Es ist keine neue Erkenntnis, dass rechtsradikale und ausländerfeindliche Positionen nicht nur von grölenden, glatzköpfigen Männern vertreten werden, sondern in der sogenannten Mitte der Gesellschaft zu finden sind. Für den Bielefelder Erziehungswissenschaftler Wilhelm Heitmeyer ist die Frage nach den Ursachen für Aggression gegen Gruppen, die als fremd empfunden werden, zum Lebensthema geworden. Optimistisch stimmen die Ergebnisse seiner Forschungen nicht.

Eine viel beachtete Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung kam 2010 zu dem Ergebnis, dass die Angst vor „Überfremdung“ in der Gesellschaft zunimmt. Und gerade veröffentlichten Wissenschaftler der Universität Leipzig eine Untersuchung, aus der hervorgeht, dass Ausländerfeindlichkeit auch – oder sogar besonders – dort weit verbreitet ist, wo es fast keine Ausländer gibt.

So alarmierend das alles jedoch auch ist: Es klingt abstrakt, und „Abstraktes verstört nicht“, wie Gunter Hofmann schon 1998 in der Zeit schrieb. Es ist ja wahr: Viele Leute, auch ich, denken beim Extremismus der Mitte an den betrunkenen Großonkel oder die ewig nörgelnde Cousine, die auf Familienfesten unakzeptable Sätze sagen. Wir übersehen dabei, dass Großonkel und Cousine sich durchaus zurückhalten und unter Gleichgesinnten noch ganz andere Dinge sagen und tun.

Das nämlich war das wirklich Entsetzliche an dem Prozess gegen den Finanzbeamten, der zum Brandstifter wurde: dass er allen Grund hatte, sich mit seiner Haltung nicht alleine zu fühlen. Das gutbürgerliche Escheburg liegt im Einzugsbereich der weltoffenen Stadt Hamburg. Die Reaktionen auf die Nachricht, dass sechs – in Zahlen: 6! – Flüchtlinge in der Nachbarschaft einziehen sollten, lassen sich nur als hysterisch bezeichnen.

Eine Gruppe von Anwohnern stürmte die Amtsverwaltung. Protest, Protest. Eine Zeugin erklärte im Prozess, sie habe überlegt, einen Wasserschaden im Haus zu verursachen. Der Angeklagte sagte: „Ich hatte Angst um das Schöne, das wir da haben.“ Und er sprach über seine Sorgen: „Wir haben uns gefragt, bringt denen eigentlich jemand bei, wann der Müll rausmuss.“

Nein, vielleicht hätte diese Information tatsächlich niemand in der Verwaltung als vordringlich betrachtet. Was bleibt denn dann anderes übrig, als ein Haus abzufackeln? Mit Ausländerfeindlichkeit habe seine Tat nichts zu tun gehabt, hat der Angeklagte beteuert. Es steht zu befürchten, dass er das selber glaubt. Viele deutsche Rechtsradikale scheinen gar nicht zu wissen, wes Geistes Kind sie sind.

Der Finanzbeamte wurde zu einer Haftstrafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt, er wird seinen Arbeitsplatz und seinen Beamtenstatus verlieren. In dem Haus, das er angezündet hatte, wohnt inzwischen eine Familie mit Kindern aus Tschetschenien. Das dürfte ihm und den Nachbarn gefallen. Kinder sind immer gut. Bloß erwachsen und trotzdem hilfsbedürftig sollten sie nicht werden.

16 May 2015

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Bettina Gaus

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