taz.de -- Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger: Über eine Million Strafen verhängt

Die Arbeitsagenturen haben im letzten Jahr 1,025 Millionen Sanktionen gegen Arbeitslose ausgesprochen. Der Höchstwert geht auf gestiegene Meldeversäumnisse zurück.
Bild: Jeder 30. Langzeitarbeitslose in der Hartz-IV-Grundsicherung wurde letztjährig mit einer Strafe belegt.

BERLIN rtr | Die Arbeitsagenturen haben im vergangenen Jahr so viele Sanktionen gegen Langzeitarbeitslose in der Hartz-IV-Grundsicherung verhängt wie nie zuvor. Der Anstieg um elf Prozent auf über eine Million Strafen geht nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) allein auf eine Zunahme der Meldeversäumnisse zurück. Dies hänge mit der guten Arbeitsmarktlage und der intensiveren Betreuung zusammen, erklärte die BA am Mittwoch.

Im gesamten Jahr wurden demnach 1,025 Millionen Sanktionen ausgesprochen. Diese können von einer Kürzung des Arbeitslosengeldes II bis hin zur völligen Streichung der Zahlung reichen. Die Behörde warnte vor einer vorschnellen Interpretation. „Gemessen an der Gesamtzahl der Leistungsberechtigten haben die Jobcenter nur wenige Menschen sanktioniert“, sagte BA-Vorstandsmitglied Heinrich Alt.

Im Jahresdurchschnitt war bei einer Sanktionsquote von 3,4 Prozent etwa jeder 30. mit einer Strafe belegt. Zurückzuführen sei der Anstieg der Sanktionen auf die gute Lage auf dem Arbeitsmarkt und eine intensivere Betreuung in den Jobcentern. „Wenn wir den Menschen mehr Angebote machen können, nehmen auch die Meldeversäumnisse zu“, erklärte Alt.

Die Zahl der Hartz-IV-Bezieher, die zu einem Termin im Jobcenter nicht erschienen, stieg um rund 106.000 auf 697.000 Fälle. Die Meldeversäumnisse machen rund 70 Prozent aller Sanktionsgründe aus. Die Strafen etwa wegen der Weigerung, eine Arbeit aufzunehmen oder eine Qualifizierung fortzusetzen, gingen um 3000 auf 137.600 zurück.

Sanktionen seien immer das letzte Mittel, sagte Alt. Die geringe Sanktionsquote zeige, „dass die Spielregeln von der deutlichen Mehrheit der Kunden akzeptiert werden“. Es dürfe nicht vergessen werden, dass die Grundsicherung von Steuerzahlern finanziert werde, „also auch von der Kassiererin, dem Dachdecker oder der Altenpflegerin“.

10 Apr 2013

TAGS

Jobcenter
Langzeitarbeitslose
Hartz IV
Sanktionen
Bundesrechnungshof
Schwerpunkt Meta
Jobcenter
Arbeitslosigkeit
Aufstocker
Urteil
Arbeitslosigkeit
EU
Hartz IV
Hartz IV

ARTIKEL ZUM THEMA

Rechnungshof prüft Arbeitsagentur: Fehlsteuerungen und Manipulationen

Der Bundesrechnumgshof kritisiert die Vermittlungsarbeit der Arge scharf. Die Statistiken seien manipuliert, die Betreuung der Arbeitssuchenden in einer Schieflage.

Hartz IV-Bezieher in sozialen Netzwerken: Der Arbeitsagentur gefällt das

Schnüffeln Jobcenter in Facebook herum? Die Arbeitsagentur sagt, das passiert nicht, fragt aber den Datenschutzbeauftragten, ob's doch ginge.

Forscherin über Arbeit in Jobcentern: „Vieles nach Sympathie entschieden“

Harter Job im Jobcenter: Die Sozialforscherin Natalie Grimm über die Willkür der Behörden, die durch überlastete Mitarbeiter entstehe.

Die Wahrheit: Die Hartztpraxis

Ein skrupelloser Berliner Arzt kassiert mit Hartz-IV-Attesten mächtig ab. Die Krankheiten gibt es praktischerweise gleich dazu.

Prekäre Lebensverhältnisse: Mehr und mehr Aufstocker

Die Zahl der Arbeitslosengeld-II-Empfänger insgesamt sinkt. Doch es steigt der prozentuale Anteil derjenigen, die trotz eines Jobs „Hartz IV“ beziehen.

Höchststrafe für 52-jährigen Täter: Lebenslänglich für Mord im Jobcenter

Der Mord an einer Mitarbeiterin des Jobcenters in Neuss löste vor einen halben Jahr Entsetzen aus. Nun wurde der Täter zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt.

Kommentar Arbeitslosenzahlen: Die ungerührten Deutschen

Bei der Arbeitslosigkeit ist Europa tief in Nord und Süd gespalten. Und die Schere öffnet sich immer weiter. Das wird sich politisch rächen.

Europäische Arbeitslosenquote: Süden am schwersten betroffen

Die europäische Statistikbehörde zählt über 26 Millionen Arbeitslose in der EU. Die höchsten Quoten finden sich dabei unter jungen Menschen und in Südeuropa.

Debatte Hartz IV: In der Paarfalle gefangen

Alle kennen den Slogan „Armut ist weiblich“. Das ist kein Naturgesetz, sondern auch der unseligen Arbeitsmarktreform geschuldet.

Debatte Agenda 2010 und 2020: Die Mythen um Hartz IV

Der Erfolg der deutschen Wirtschaft hat mit den Reformen nichts zu tun. Er verdankt sich dem Export deutscher Autos nach China und Indien.