taz.de -- Kommentar Vorratsdatenspeicherung: Sozialdemokratische Überwachung

Fest steht: Mit der großen Koalition kommt auch die Vorratsdatenspeicherung. Die Anti-NSA-Sprüche der SPD im Wahlkampf waren Nebelkerzen.
Bild: Rote klinken sich auch gerne in den Datenfluss ein

Union und SPD wollen in Deutschland die Vorratsdatenspeicherung einführen. Noch ist die Empörung über die gigantische Massenüberwachung des US-Geheimdienstes NSA überall zu spüren, da zeigen die künftigen Regierungsparteien, dass sie daraus so gut wie keine Schlussfolgerungen ziehen wollen. Die Massenspeicherung aller Telefon- und Internet-Verbindungsdaten soll nun in Deutschland zum zweiten Mal beschlossen werden.

Manche mögen sich vor allem über die SPD wundern, die in den letzten Monaten einen veritablen Anti-Überwachungs-Wahlkampf hingelegt hat. Sigmar Gabriel warf der Kanzlerin sogar einen Bruch ihres Amtseides vor, weil sie die Deutschen nicht genug vor der US-Überwachung geschützt habe.

Aber offensichtlich ging es nur gegen US-Überwachung und nicht gegen Überwachung an sich. Wenn deutsche Telefon- und Internet-Firmen die Daten ihrer Kunden monatelang für polizeiliche Zwecke vorrätig halten müssen, dann haben die Sozialdemokraten nach wie vor kein Problem damit.

Wirklich überraschend ist das aber nicht. Die Vorratsdatenspeicherung war von Beginn an auch ein sozialdemokratisches Projekt. Der einstige Innenminister Otto Schily hat in Brüssel Druck gemacht. Und die einstige Justizministerin Brigitte Zypries hat sie konkret ausgehandelt. Eingeführt wurde die Vorratsdatenspeicherung erstmals 2008 in der vorigen großen Koalition. Und als das Bundesverfassungsgericht 2010 Nachbesserungen beim Datenschutz forderte, waren es nicht zuletzt die SPD-Innenminister aus den Ländern, die Druck auf eine baldige Wiedereinführung machten. Die FDP-Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger, die dies blockierte, wurde von Sozialdemokraten sogar als Sicherheitsrisiko beschimpft.

Dass man sich nun in den Koalitionsverhandlungen erst mal nicht verständigen konnte, war da wohl mehr Theater als substanzieller Dissens. Dass man sich an diesem Punkt schon noch einigen wird, war abzusehen. Die nun bekannt gewordenen Kompromisse sind auch wenig fundamental. So sollen die zwangsgespeicherten Daten in Deutschland verbleiben und nicht auf ausländischen Rechnern gesammelt werden.

Auf EU-Ebene will man sich für eine Verkürzung der Speicherdauer von sechs auf drei Monate einsetzen. Doch selbst wenn dies erfolgreich wäre, ändert sich nichts am Prinzip einer monatelangen anlasslosen Massenüberwachung. Zum Vergleich: Leutheusser-Schnarrenberger hat vorgeschlagen Internet-Daten eine Woche zu speichern und Telefondaten überhaupt nicht.

Wie es nun weitergeht, scheint auch noch offen zu sein. Wird die Vorratsdatenspeicherung sofort eingeführt und dann erst in Brüssel verhandelt? Oder wird erst versucht, eine Verkürzung zu erreichen? Wird auf das im Frühjahr anstehende Urteil des Europäischen Gerichtshofs gewartet, der eventuell auch eine Verkürzung der Speicherzeit fordern wird?

Wahrscheinlich sind solche Fragen bewusst offen geblieben, weil man sich nicht einigen konnte. Man kann das unprofessionell finden – oder sich darüber freuen, dass schon die Diskussionen um diese Frage wieder Wochen und Monate dauern werden, und so lange auch keine Vorratsdatenspeicherung eingeführt wird.

26 Nov 2013

AUTOREN

Christian Rath

TAGS

Otto Schily
NSA
Schwerpunkt Überwachung
SPD
Vorratsdatenspeicherung
BKA
CDU/CSU
Europäischer Gerichtshof
Datenschutz
Schwerpunkt Überwachung
Vorratsdatenspeicherung
UN-Vollversammlung
Schwerpunkt Angela Merkel
SPD
EU-Richtlinien
Internet
Koalitionsverhandlungen
Vorratsdatenspeicherung
NSA-Skandal

ARTIKEL ZUM THEMA

Vorratsdatenspeicherung und EU-Recht: Mit der Charta nicht vereinbar

Nach einem Gutachten des EU-Generalanwalts verstößt die Datenspeicherung gegen die Grundrechte-Charta. Die Richtlinie müsse präzisier formuliert werden.

Schlüsselfragen des Datenschutzes: Behörden müssen getrimmt werden

Höchste Zeit, dass das Recht auf Datensicherheit ernster genommen wird. Noch arbeiten viele staatliche Stellen und Firmen mit unverschlüsselten E-Mails.

Große Koalition uneinig: Ja zu Vorratsdaten, aber wann?

Im Koalitionsvertrag haben sich Union und SPD auf die Vorratsdatenspeicherung geeinigt. Wann es damit losgehen soll, ist aber noch längst nicht klar.

Schwarz-Rot zu Datenschutz: Ein Fall für den „Vertrauensraum“

Innenpolitisch will Schwarz-Rot auf die NSA-Affäre reagieren. Die Koalition plant eine Datenschutz-Offensive, aber auch die Vorratsdatenspeicherung.

In der UN-Vollversammlung: Deutsche Resolution angenommen

Zusammen mit Brasilien reichte Deutschland in der UN-Vollversammlung eine Resolution zum Schutz der Privatsphäre ein. Abgeschwächt kam sie nun durch.

Vertrag für Große Koalition steht: Union und SPD einigen sich

Nach 17 Stunden Sitzung einigen sich die Spitzen von Union und SPD auf einen Koalitionsvertrag. Jetzt muss noch die große Runde zustimmen – und die SPD-Basis.

Koalitionsverhandlungen Union und SPD: Streit um Finanzen

In der letzten Runde zur großen Koalition streiten Union und Sozialdemokraten ums Geld. Zur Rente gibt es eine Einigung, bei der Pkw-Maut zeichnet sich eine Lösung ab.

Einigung zur Vorratsdatenspeicherung: Schwarz-Rot will Richtlinien umsetzen

Union und SPD haben sich auf ein Konzept zur Datenspeicherung geeinigt. Europäische Richtlinen sollen umgesetzt, aber auch gelockert werden.

Kommentar freies WLAN: Der User ist ein Gesetzesbrecher

Mehr Breitband, keine Störerhaftung: auf den ersten Blick hat die künftige Koalition gute Pläne. Doch Schwarz-Rot begreift das Netz noch immer als Gefahr.

Debatte um Vorratsdatenspeicherung: Drei Monate für Bouffier denkbar

An diesem Samstag geht es zwischen Union und SPD vor allem um die Energiewende. Volker Bouffier sucht nach einem Kompromiss für die Vorratsdatenspeicherung.

Schwarz-rote Pläne zu Datenspeicherung: Die Antwort ist Massenüberwachung

So weit geht die Empörung über die Ausspähung durch den NSA dann doch nicht. CDU/CSU und SPD halten an der Vorratsdatenspeicherung fest.

Kommentar NSA-Affäre: Projekt Gegenaufklärung

Es wäre fatal, jetzt Geheimdienste aufzurüsten, um die US-Schnüffelei einzudämmen. Notwendig sind massenkompatible Verschlüsselungstechniken.