taz.de -- Kolumne Konservativ: Der Linksradikale Helmut Kohl

Der Kolumnist Jan Fleischhauer zeigt auf „Spiegel Online“, was Konservative heute umtreibt: Angst vor Überwältigung und Autonomieverlust.
Bild: Je weiter man „nach links kommt, desto höher wird der Anteil von Menschen, die nie einen Betrieb von innen gesehen haben, es sei denn bei einem Besuch“

Journalisten mögen keine Leserbriefschreiber. Zumindest die nicht, die ihnen vorhalten, Journalisten seien dumm, naiv und vernagelt. Die Geschmähten können solche Leserbriefschreiber ignorieren. Das klappt manchmal. Sie können versuchen, sie zu überzeugen. Das klappt nicht so gut. Oder sie werden selbst zu einer Art Leserbriefschreiber. Diesen Weg geht Jan Fleischhauer.

Fleischhauer ist Autor des Buchs „Unter Linken – Von einem, der aus Versehen konservativ wurde“. Unter dem Titel [1][„Der Schwarze Kanal“] schreibt er auf Spiegel Online wöchentlich über das, was er für Folgeschäden linken Gedankenguts hält.

Wie sieht konservative Gesellschaftskritik heute aus? Eine Passage über die SPD bei den Koalitionsverhandlungen illustriert sehr gut Fleischhauers Herangehensweise. Er skizziert die Lebenswege von Gabriel, Steinmeier und Nahles und folgert:

„Was fällt uns auf? Alle drei Spitzenleute der SPD haben ein Studium abgeschlossen, das ist löblich. Aber keiner hat sein Geld jemals außerhalb der Politik oder des Öffentlichen Dienstes verdient. Man kann das auch bei anderen Parteien überprüfen: Je weiter man nach links kommt, desto höher wird der Anteil von Menschen, die nie einen Betrieb von innen gesehen haben, es sei denn bei einem Besuch, oder selber unternehmerisch tätig waren.“

Das Fleischhauer'sche „Wir“

Fleischhauers Frage soll Nähe zu den Lesern suggerieren: Ich denke wie ihr. Es folgt die Gleichung: Je linker, desto weltfremder. Das Fleischhauer’sche „Wir“ bilden die normalen, hart arbeitenden, pragmatischen, klar denkenden Menschen. Nicht diese Leute, die ihr Geld niemals außerhalb des Politik- und Medienbetriebs verdient haben. Also Leute wie Fleischhauer selbst.

Dieser Antiintellektualismus lässt sich auch so verstehen: Je mehr Lebenserfahrung abseits der Politik ein Politiker gesammelt hat, desto konservativer ist er. Wenn das stimmt, sind Helmut Kohl, Philipp Mißfelder und Roland Koch Linksradikale.

Vielleicht findet Fleischhauer auch deshalb so viel Anklang, weil er ein weit verbreitetes Bedürfnis befriedigt. Der Konservatismus hat nicht nur seine Inhalte verloren, sondern, was fast noch wichtiger ist, seine Formen. Das Einzige, das noch Sicherheit bietet, ist die Gewissheit, einen klar benennbaren Gegner zu haben: Wenn ich alles „Linke“ doof finde, dann bin ich wohl konservativ. Und je mehr ich als „links“ etikettiere, desto klarer wirkt meine Gegenposition.

„Brüssel ist das neue Rom“

Diese Haltung entspringt nicht tief wurzelnder Überzeugung, sondern Angst. Angst vor Überwältigung, vor Autonomieverlust. Je größer die Furcht, desto größer wirkt das, was die Furcht bereitet. Über die EU schreibt Fleischhauer: „Brüssel ist das neue Rom, minus Sonne, Sklaven und Kolosseum.“ Stimmt der Vergleich, dann herrscht in Brüssel ein als Gott verehrter Herrscher über Leben und Tod, der die größte Streitmacht der Welt befehligt.

Über Brüssels Verschwendungssucht schreibt Fleischhauer: „Die beste Art, sich mit Dingen abzufinden, die man nicht ändern kann, ist es, ihnen mit Humor zu begegnen.“ Ich wünsche ihm viel Glück dabei.

28 Nov 2013

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[1] http://www.spiegel.de/thema/spon_fleischhauer/

AUTOREN

Matthias Lohre

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