taz.de -- Kolumne Konservativ: Reaktionäre Hobbits

Ist J.R.R. Tolkiens „Der Herr der Ringe“ konservativ? Oder ist das Werk gar reaktionär? Als gäbe es im Werk nicht genug Wörter, die man durcheinanderbringt.
Bild: Hobbit Bilbo Beutlin lebt einen Traum. Keinen schönen Traum, aber einen Traum.

Luxus bedeutet auch: sich keine Meinung über etwas bilden zu müssen, nur weil andere dazu eine haben. Diesen Luxus leistete ich mir in Bezug auf J. R. R. Tolkiens Werk. Doch neulich wurde ich gezwungen, Stellung zu beziehen. Leider.

„Schreib doch mal was über den ’Herrn der Ringe‘“, sagte mir ein Bekannter. „Das Ganze ist doch total konservativ.“ Wir saßen gerade im Kino, sahen „Der Hobbit – Smaugs Einöde“. Zu Menschen, die Sätze beginnen mit „Schreib doch mal was über“, habe ich eine klare Meinung, aber ich bin zu höflich, um sie hier auszuführen.

Mit dem Wort „konservativ“ ist es wie mit einem Smartphone: Kaum jemand weiß, was dahintersteckt, aber fast alle benutzen es. Ein besonders prächtiges Beispiel für Begriffsverwirrung lieferte Spiegel Online bereits 2001.

„In mancher Hinsicht“, heißt es da, „erscheint ’Der Herr der Ringe‘ hochmodern, etwa in seiner harschen Kritik an der Umweltzerstörung. Aber hier spiegelt sich wohl eher die konservative Grundhaltung Tolkiens wider, der sich nach seinem ’merry old England‘ sehnte. So steckt in der Trilogie denn auch viel reaktionäres Gedankengut: Die menschlichen Schurken sind meist dunkelhäutige Ausländer. Frauen haben in Männerberufen in der Regel nichts verloren. Und: Je älter desto besser.“

Verwirrende Wörter

Tolkiens Welt ist also einerseits „hochmodern“, andererseits „konservativ“. Und „konservativ“ ist gleich „reaktionär“. Das ist wiederum dasselbe wie rassistisch und sexistisch – und wie auch immer man es nennt, wenn man alt zu sein okay findet. Als gäbe es im „Herrn der Ringe“ nicht genug Wörter, die man durcheinanderbringt.

Ich flüsterte: „Konservative und Reaktionäre sind nicht dasselbe.“ Konservative sind Realisten. Sie wollen das Bestehende bewahren. „Der Reaktionär will aber nichts konservieren“, schreibt Jens Jessen in der Zeit: „Er ist ein Idealist oder, besser noch: ein rückwärtsgewandter Utopist, der alles Schöne, Richtige in der Vergangenheit schon einmal verwirklicht und nur durch die Moderne verspielt und sinnlos geopfert sieht.“

„Die Botschaft von ’Herr der Ringe‘“, flüsterte ich, „wäre konservativ, wenn sie lautete: Alles soll so bleiben, wie es ist. Zwerge wachsen nicht und Elben haben die Haare schön.“ Unsere Sitznachbarn zischten.

„Aber“, konterte der Bekannte, „die ’Ringe‘-Gesellschaft ist doch feudalistisch. Wer oben ist, bleibt oben. Wer …“ Noch mehr Gezische. Gern hätte ich mitgemacht.

Eine Welt des Mythos

„Das ist weder konservativ“, flüsterte ich noch leiser, „noch reaktionär. Es ist eine Welt des Mythos.“ Der Mythos ist ein Traum, den eine ganze Gruppe oder Gesellschaft teilt. Darin muss ein Held innere und äußere Hürden überwinden, um zu reifen und seine Welt mit dem dabei erlangten Wissen zu bereichern. Der Held ist Stellvertreter des Träumenden. Frodo und Bilbo Beutlin, das sind wir.

Der Bekannte überlegte. Dann sagte er laut: „Also sind Träume konservativ!“ Gezische, Pöbeleien des Kinobesucher. Aber ich blieb standhaft: Ich schrieb keine einzige Zeile über „Der Herr der Ringe“.

8 Jan 2014

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Matthias Lohre

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