taz.de -- Kommentar EU-Kommissionspräsident: Stunde der Wahrheit für Merkel
Die Bundeskanzlerin muss sich für den Kandidaten Jean-Claude Juncker stark machen. Anderenfalls hätte die Europawahl gar keinen Sinn gemacht.
Merkel muss kämpfen. Für Jean-Claude Juncker, für das Europaparlament, für die Wahl der Bürger. Nur wenn die Kanzlerin offensiv für Juncker eintritt und ihn zum EU-Kommissionspräsidenten macht, hat die Europawahl einen Sinn gehabt.
Schließlich haben die Bürger ihre Stimme unter der Prämisse abgegeben, dass sie den nächsten Kommissionschef wählen. Merkels Spitzenkandidat Juncker hat die meisten Stimmen auf sich vereint, also hat er nun das Prä. Genau so sieht man das im Europaparlament, das sich gestern hinter Juncker stellte. Doch wird sich die Kanzlerin tatsächlich für ihren Mann einsetzen? Wird sie ihm zum Durchbruch verhelfen? Beim EU-Gipfel am Abend in Brüssel kamen schon wieder Zweifel auf. Sie entscheide nicht allein, hatte Merkel vorher abgewiegelt.
Lavieren, taktieren, auf die lange Bank schieben – die übliche Merkel-Taktik, könnte man meinen. Doch diesmal hat die Kanzlerin keine Ausrede. Es ist ihr Job, die nötige Mehrheit im Rat zu organisieren, der den nächsten Kommissionschef vorschlägt. Wenn sie das nicht energisch vorantreibt, schießt sie Juncker ab. Denn die Gegner sind gut organisiert. Angeführt werden sie vom britischen Premier Cameron. Zu seinen Verbündeten zählen Ungarn, Niederländer und wohl auch Schweden. Die Kanzlerin kann nicht so tun, als habe sie keine Ahnung.
Schließlich weiß sie nur zu gut, wie man Kandidaten abschießt. 2004 war sie es, die im Bunde mit Camerons Amtsvorgänger Blair den Kandidaten der damaligen Bundesregierung abblockte. Merkel und Blair zauberten den Portugiesen Barroso aus dem Hut – der sich dann als ausgesprochen schwacher Kommissionschef erwies. Das darf sich nicht wiederholen, sonst ist die EU am Ende. Und die nächste Europawahl kann man sich dann auch gleich schenken.
27 May 2014
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