taz.de -- Der sonntaz-Streit: Müssen wir Plastiktüten verbieten?

Plastiktüten sind zum Symbol der Wegwerfgesellschaft geworden. Ein EU-Bürger verbraucht im Schnitt 200 Stück pro Jahr. Ist das zu viel?
Bild: Umweltsünde oder praktische Tragehilfe? Die Plastiktüte ist in Deutschland umstritten.

Vergangenen Samstag formten über 3000 Menschen auf dem Tempelhofer Feld in Berlin ein neun Kilometer langes Band aus über 30.000 Einwegtüten. Sie schufen damit ein gigantisches Ausrufezeichen und stellten im Rahmen der Aktion „Berlin tüt was“ einen neuen Weltrekord auf. Die Deutsche Umwelthilfe und die Berliner Stadtreinigung setzten mit der Aktion ein Zeichen gegen den steigenden Plastiktütenkonsum und forderten ein rasches Umdenken.

Solche Aktionen sollen eins verdeutlichen: Die Plastiktüte ist zu einem Sinnbild für übermäßigen Plastikkonsum und die daraus resultierenden Probleme geworden. Themen wie Umweltverschmutzung, das Problem der Wegwerfgesellschaft und Recycling verknüpfen sich mit der Plastiktüte.

Dreißigtausend Stück. Das ist die Anzahl an Tüten, die in Berlin pro Stunde über die Ladentheken gehen. Billig, sauber und praktisch schützt sie Einkäufe auf dem Weg vom Supermarkt nach Hause. Mit 15 Gramm Eigengewicht transportiert sie 15 Kilogramm Ware. Häufig landet sie nach dem Einkauf jedoch direkt im Müll. Die durchschnittliche Lebensdauer einer Tüte beträgt gerade einmal 25 Minuten.

Wird sie nicht richtig entsorgt oder verbrannt, dauert der Zersetzungsprozess je nach Kunststoffsorte zwischen 100 und 500 Jahren. Selbst Tüten mit dem Aufdruck „kompostierbar“ sind nicht so gut wie ihr Ruf, auch sie landen häufig in der Verbrennungsanlage. Zwar zersetzen sie sich innerhalb von 12 Wochen, doch das dauert zu lange für moderne Kompostierungsanlagen. Die Recyclingunternehmen müssen die Tüten hinterher oft wieder aus dem Biomüll herausholen.

Enorme Folgen für die Umwelt

Landen die Tüte nicht im Müll, sind die Folgen für die Umwelt enorm. In Indien sind viele Strände durch Plastikmüll komplett verschmutzt. Läuft man in Mumbai entlang der Carter Road Promenade sieht man statt blauer Wellen bunte Plastikmassen auf den Strand schwappen. Zwischen Kalifornien und Hawai, im Norden des Pazifischen Ozeans, treibt ein drei Millionen Tonnen schwerer Müllstrudel. Ähnliche Plastikteppiche dieser Art lassen sich auch im Atlantik und Indischen Ozean finden. Jedes Jahr sterben Seevögel an der Nordsee, weil sie Plastikmüll fressen oder sich in Plastik verheddern.

Einige Länder gehen bereits entschieden gegen die Plastiktüte vor. In den ostafrikanischen Staaten Ruanda und Tansania sind sie seit über sieben Jahren verboten. Bangladesch führte bereits 2000 ein ähnliches Gesetz ein. Dort verursachten die Tüten während des Monsuns Probleme, weil sie Abwasserkanäle verstopften und Überschwemmungen verursachten.

Der Verbrauch von Plastiktüten in der EU ist sehr unterschiedlich. Rund 200 Stück benutzt ein durchschnittlicher EU-Bürger pro Jahr. Deutschland liegt da mit 76 Tüten pro Einwohner vergleichsweise niedrig. Mit rund 466 Tüten pro Kopf führen Polen, Portugal und Slowenien die Liste an. Dass es auch mit deutlich weniger Tüten geht, zeigen die Dänen und Finnen. Sie verbrauchen nur vier Einwegtüten pro Kopf.

Mittel zur Durchsetzung

Auf Grund dieser Zahlen forderte der [1][EU-Umweltkommisar Janez Potočnik] die Staaten zum Handeln auf. Gemeinsam mit der EU-Kommission und dem EU-Parlament möchte er den Plastikkonsum drastisch reduzieren. Bis 2019 soll der Verbrauch von Einwegtüten von durschnittlich 200 auf 35 pro Kopf gesenkt werden. Die Mitgliedsstaaten können die Mittel zur Durchsetzung selbst wählen. Damit die Forderung Gesetz wird, müssen ihr jedoch die 28 Regierungen der Europäischen Union zustimmen.

Was meinen Sie? Ist ein Verbot der richtige Weg? Wenn ja, was wären sinnvolle Alternativen? Würde ein Verbot in Deutschland überhaupt etwas an der Verschmutzung der Weltmeere ändern? Was könnte die Menschen zum Umdenken bewegen?

Sollten Plastiktüten verboten werden?

Diskutieren Sie mit! Die sonntaz wählt unter den interessantesten Kommentaren einen oder zwei aus und veröffentlicht sie in der taz.am wochenende vom 27./28. September 2014. Ihr Statement sollte etwa 900 Zeichen umfassen und mit Namen, Alter, einem Foto und der E-Mail-Adresse der Autorin oder des Autors versehen sein. Schicken Sie uns eine Mail an: [2][streit@taz.de].

23 Sep 2014

LINKS

[1] http://europa.eu/rapid/press-release_IP-13-1017_en.htm
[2] /streit@taz.de

AUTOREN

Bauer

TAGS

Plastiktüten
Müll
Umwelt
Streitfrage
Meer
Verbot
Plastikmüll
Müll
Plastiktüten
Bargeld
Plastikmüll
Bargeld
Streitfrage
Serien
Flüchtlingspolitik
Plastikmüll
USA

ARTIKEL ZUM THEMA

Vermüllung der Ozeane: Plastik bald in jedem Seevogelmagen

Laut einer Studie werden fast alle Seevögel bis 2050 Plastik gefressen haben. Forscher warnen vor den Folgen der Verschmutzung der Meere durch Kunststoffabfall.

EU-Regeln für Plastiktüten: Ganz dünne Beute(l)

Die EU will Einwegtüten-Verbrauch eindämmen – doch die Hersteller setzen Sonderregeln durch. In Deutschland soll sich erst mal nichts ändern.

Der sonntaz-Streit: „Wir töten mit Plastik“

Sollten Plastiktüten verboten werden? Ja, wegen der Umwelt, sagt die Künstlerin Pam Longobardi. Nein, findet die Grüne Renate Künast.

Der sonntaz-Streit: „Ich finde das schade“

Mit Karte zahlen geht heutzutage problemlos. Brauchen wir also noch Bargeld? Nein, sagt Ex-Finanzminister Hans Eichel. Andere widersprechen.

Modellprojekt in Kiel: Stadt ohne Plastiktüten

Kiel soll plastiktütenfrei werden. Das hat der Stadtrat beschlossen. Ein runder Tisch berät über die Umsetzung.

Der sonntaz-Streit: Brauchen wir noch Bargeld?

Es ist teuer, leicht zu fälschen und man verliert es überall: Bargeld. Wer braucht das noch? Warum bezahlen wir nicht alles digital?

Der sonntaz-Streit: „Es ist höchste Zeit“

Netflix kommt. Das ist gut, findet der Schauspieler Dominic Raacke. Deutsches Fernsehen wird damit nicht besser, meint Produzent Marc Conrad.

Der sonntaz-Streit: Macht Netflix das Fernsehen besser?

Serien gucken, wann, wie und wo man will. In den USA ist Netflix bereits Marktführer. Jetzt kommt der Online-Video-Dienst nach Deutschland.

Der sonntaz-Streit: „Mitleid ist kein guter Ratgeber“

Die private Unterbringung von Flüchtlingen kann die Integration fördern, sagt Pfarrer Olaf Lewerenz. Andere sehen darin ein Scheitern des Staates.

Flensburger Grüne über Plastiktüten: „Einfach weglassen“

Die Stadt Flensburg möchte den Verbrauch von Einwegtüten um 90 Prozent reduzieren. Neue Ideen oder eine Umweltgebühr gibt es nicht – dafür viel Idealismus.

Neues Gesetz in US-Bundesstaat: Kalifornien verbietet Plastiktüten

Wie viele Plastiktüten verbrauchen Sie täglich? Zu viele? In Kalifornien sollen Einweg-Tüten nun verboten werden. Nur Gouverneur Jerry Brown muss noch unterschreiben.