taz.de -- „Charlie Hebdo“ in türkischer Zeitung: Vier Seiten und kein Titelbild
Die türkische Tageszeitung „Cumhuriyet“ druckt Karikaturen des Satiremagazins „Charlie Hebdo“. Schon im Vorfeld gab es massive Kritik.
ISTANBUL taz | Schon bevor die gestrige Ausgabe der türkischen Tageszeitung Cumhuriyet überhaupt erschien, gab es heftige Debatten auf Facebook und Twitter. Die einen meinten, es dürften nicht auch noch in einem überwiegend islamischen Land wie der Türkei Karikaturen erscheinen, die womöglich den Propheten beleidigen. Die anderen waren enttäuscht, dass die Redaktion beschlossen hatte, zwar vier Seiten der aktuellen Charlie Hebdo nachzudrucken, auf das Titelblatt mit dem weinenden Mohammed aber zu verzichten.
Wer die Karikatur im Internet sehen wollte, sollte gehindert werden: Ein Gericht ordnete die Sperrung von Webseiten an, die das Charlie-Hebdo-Titelbild zeigen. Bereits am frühen Morgen um 5 Uhr hatte die Istanbuler Staatsanwaltschaft die Polizei in die Druckerei von Cumhuriyet geschickt, um die gesamte Ausgabe wegen möglicher Beleidigung religiöser Gefühle beschlagnahmen zu lassen.
Die Polizisten ließen dann aber die Lkws passieren, nachdem man festgestellt hatte, dass Charlie Hebdos Mohammed doch nicht auf der ersten Seite prangte. Aus der Redaktion hieß es, man habe aus Sicherheitsgründen darauf verzichtet; es habe massive Drohungen gegeben.
Tatsächlich zeugt es von Mut und republikanisch-demokratischer Gesinnung, dass man es bei Cumhuriyet gewagt hat, vier Seiten der aktuell weltweit bekanntesten Satirezeitschrift aus Solidarität mit den in Paris von islamistischen Attentätern ermordeten Zeichnern nachzudrucken. Denn obgleich der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu am Sonntag am Trauermarsch in Paris teilgenommen hatte, war die Verurteilung des Terrorakts in der Türkei durchaus nicht so klar, wie Davutoglu in Paris und Berlin glauben machen wollte.
Verschwörungstheorien
Bis in die höchsten Reihen der regierenden AKP hinein gab es Stimmen, die den Opfern selbst die Schuld an ihrer Ermordung zuschoben oder aber abstruse Verschwörungstheorien von sich gaben. Melih Gökcek, immerhin Oberbürgermeister der Hauptstadt Ankara und einer der wichtigsten Funktionäre der AKP, behauptete, der Anschlag müsse vom Mossad inszeniert worden sein, um Frankreich zu bestrafen – weil das Parlament dort erst kürzlich einen Palästinenserstaat anerkannt hatte.
Den ganzen Mittwoch über hatte die Polizei die Straßen zum Redaktionsgebäude der Zeitung abgesperrt – ob zum Schutz der RedakteurInnen oder um die Zeitungsmacher einzuschüchtern war nicht genau auszumachen.
Die Zeitung ist das traditionelle Blatt der kemalistischen Republik und steht deshalb in unerbittlicher Opposition zur Regierung. Cumhuriyet verkaufte gestern so viele Exemplare wie schon lange nicht mehr.
14 Jan 2015
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Weil der türkische Atheisten-Verband angeblich religiöse Werte beleidigt, wurde die Website gesperrt. „Iillegal und undemokratisch“ sei das, so der Verband.
Die Gesetzesvorlage schränkt Demonstrationsrechte weiter ein. Die türkische Opposition ist sich einig: Sie will die Verabschiedung unbedingt verhindern.
Die Staatschefs, die in Paris trauerten, waren bestimmt erschüttert. Aber nicht so, dass sie ihre Lippenbekenntnisse auch ernstnähmen.
Wer in Zukunft Anschläge wie die in Paris verhindern will, muss die Banlieues auflösen. Das ist nicht die Aufgabe des Staates, sondern der Bewohner.
In einigen Schulen weigerten sich muslimische Schüler, der Terroropfer zu gedenken. Sie fühlen sich von Mohammed-Karikaturen beleidigt.
Ermittler in Frankreich gehen Hinweisen auf mindestens einen weiteren Tatverdächtigen nach. Der Verkauf der aktuellen Ausgabe der „Charlie Hebdo“ läuft weiter.
Beim dänischen Karikaturen-Streit brannten noch Fahnen und Botschaften. Diesmal gibt es wichtigere Themen: Krieg, Ölpreis und Flüchtlinge.
Al-Qaida im Jemen bekennt sich in einem Video zu dem Anschlag. Die Türkei zensiert die neue Ausgabe der Zeitschrift, deren Auflage auf fünf Millionen erhöht wird.
Die ägyptische Fatwa-Behörde verurteilt die Mohammed-Karikatur auf der neuen „Charlie Hebdo“-Ausgabe. Sie verlangt, das Titelblatt zurückzuweisen.
Die neue Ausgabe ist in Frankreich in kürzester Zeit vergriffen. „Je suis Charlie“, bekennt Mohammed auf dem Cover. Das Land verlängert seinen Irak-Einsatz.
Die erste Ausgabe von „Charlie Hebdo“ nach dem Anschlag erscheint Mittwoch. Die vorab veröffentlichte Titelseite sorgt bereits für erste Diskussionen.