taz.de -- Kriminelle Minderjährige: Bremen sperrt Flüchtlingskinder ein
Rot-Grün will straffällige unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in einem geschlossenen Heim neben dem Gefängnis unterbringen.
BREMEN taz | Jetzt ist’s beschlossen: Die rot-grüne Bremer Landesregierung führt die geschlossenen Heime wieder ein. Darin unterkommen sollen straffällige unbegleitete minderjährige Flüchtlinge.
Die grüne Sozialsenatorin Anja Stahmann spricht von einer „intensivpädagogischen Einrichtung“ und „freiheitsentziehenden Maßnahmen“. Doch alle Details sind noch offen: Bislang gibt es weder ein inhaltliches Konzept noch einen Träger für so eine Einrichtung.
Zunächst und vorübergehend unterkommen soll sie in einem Pavillon, der noch zum Frauengefängnis im Bremer Knast gehört. Wann die ersten Jugendlichen dort einziehen, ist noch unklar. Sicher ist aber, dass so ein Heim klar vom Strafvollzug getrennt werden muss – das schreibt das Gesetz vor.
„Wir wollen keine Einrichtung wie die Haasenburg“, sagte Stahmann am Dienstag. Der freie Träger hatte in Brandenburg drei Heime betrieben, wo Kinder und Jugendliche geschlossen untergebracht waren. Diese mussten 2013 wegen massiven Menschenrechtsverletzungen geschlossen werden (taz berichtete). „So etwas darf sich keinesfalls wiederholen“, sagt Stahmann.
Und das Wort „wegsperren“ hören sie in Bremen auch nicht gern. Selbst der sonst stets so ruhige Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) reagiert aufgebracht, sobald es fällt. „Wir können die Leute gar nicht wegsperren“, sagt auch der Justizsenator Martin Günthner (SPD) – das könnten nur die Gerichte veranlassen, dafür gebe es „hohe rechtliche Hürden“. Er spricht davon, dass man „vermeiden“ wolle, dass Jugendliche weiter straffällig werden könnten.
In der Praxis geht es um 25 bis 30 Menschen, die teilweise als Straßenkinder aufgewachsen, teilweise drogenabhängig, teilweise kriegstraumatisiert sind. Sie fielen wiederholt durch Raub, Diebstahl oder Widerstand gegen Polizisten auf. Seit August wurden deswegen laut Günthner in Bremen 88 Anklagen erhoben, bei denen es um 159 Straftaten geht.
„Wir haben es mit einigen sehr schwierigen Jugendlichen zu tun, die mit den Instrumenten des Jugendhilfesystems nicht zu erreichen sind“, sagt Stahmann. Aus Sicht von Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) ist ein geschlossenes Heim deswegen „ohne Alternative“.
Die allermeisten jugendlichen [1][Flüchtlinge] sind indes unauffällig. 2014 kamen insgesamt rund 500 von ihnen in Bremen an, 2011 waren es noch 50, allein im Januar dieses Jahres aber schon 75. Bremen habe damit mehr jugendliche Flüchtlinge aufgenommen als die fünf neuen Bundesländer zusammen, so Mäurer. Anders als geflohene Erwachsene werden sie bislang nicht auf die Länder verteilt.
Die Linkspartei ist gegen [2][geschlossene Heime]: „Wenn Jugendliche mit Gewalt- oder Suchtproblemen zusammen untergebracht und isoliert werden, kann das ihre Probleme sogar verschärfen.“ Der Beschluss von Rot-Grün sei Ausdruck von „Hilflosigkeit und Überforderung“.
Scharfe Kritik kommt auch von der Vereinigung der StrafverteidigerInnen und dem Strafvollzugsarchiv: Die Erfahrungen in anderen Bundesländern seien „durchweg negativ“, eine „faktische“ Inhaftierung „nicht zu legitimieren“.
10 Feb 2015
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Weder Eltern noch Erzieher dürfen Gewalt anwenden, sagt die Autorin des ersten Rechtsgutachtens zur Zulässigkeit körperlichen Zwangs in Heimen.
Die Sozialarbeiterin Claudia Fisbeck kümmert sich um jugendliche Flüchtlingstäter in Bremen. „Nachbeeltern“ nennt sie, was sie den Jugendlichen bieten kann.
Strafvollzug wird modern: Frauen und Jugendliche aus Hamburg und Schleswig-Holstein sollen ab 2019 gemeinsam einsitzen.
Seit dem Wochenende werden unbegleitete minderjährige Flüchtlinge wie Erwachsene auf die Bundesländer verteilt.
Susanne Wendland, grüne Abgeordnete in der bremischen Bürgerschaft, beklagt fehlende Debatten und innere Widersprüche im Sozialressort.
Wegen unhygienischer Zustände schließt Bremen ein Wohnheim. Mit 200 minderjährigen Flüchtlingen war es deutlich überbelegt.
Als zunehmende Belastung bezeichnet die Gewerkschaft der Polizei in Bremen straffällige unbegleitete Flüchtlingskinder. Alles Quatsch – sagt nun ein Polizist.
Das Gesetz zur Umverteilung minderjähriger Flüchtlinge auf die Länder befindet sich in der Feinabstimmung, dabei mehren sich die Bedenken der Flüchtlingsinitiativen.
Der Kriminologe und Sozialpädagoge Olaf Emig über die geschlossene Unterbringung minderjähriger Flüchtlinge und Defizite der Bremer Jugendhilfeträger.
Hamburg betreut schwierige junge Flüchtlinge jetzt im Industriegebiet. Es gibt Restriktionen, aber kein Schloss. Bremen plant geschlossenes Heim für diese Gruppe.
Einem Ex-Haasenburg-Erzieher wurde Körperverletzung vorgeworfen. Das Gericht verurteilte ihn nicht. Es zweifelte an der Aussage des betroffenen Jungen.
Flüchtlingsräte aller Länder trafen sich in Bremen. Kritik an der Regierung gibt es vor allem, wenn es um unbegleitete Minderjährige geht.
Psychologen und Juristen kritisieren die geschlossene Unterbringung von delinquenten jugendlichen Flüchtlingen. Der CDU geht's nicht schnell genug.
Es gibt keinen Anspruch der Gesellschaft auf eine von auffälliger Jugend gesäuberte Stadt. Doch es gibt den Anspruch für Minderjährige, Hilfe zu bekommen.
Bremen will straffällige minderjährige Flüchtlinge geschlossen unterbringen – der Kriminologe Lindenberg hält das für falsch.
Warum es in der Ausländerbehörde zu langen Wartezeiten kam und wie er das ändern will, erklärt Innensenator Mäurer im Interview.
Die Bewährungsstrafe für einen Ex-Haasenburg-Mitarbeiter wegen sexuellen Missbrauchs geht in Ordnung. Die Urteilsbegründung nicht.
Ein Erzieher der berüchtigten Haasenburg-Heime soll mit einer 15-Jährigen Sex gehabt haben. Er wurde zu eineinhalb Jahren Haft auf Bewährung verurteilt.
Das neue geschlossene Heim in Hamburg wird größer als bisher bekannt. Am eigens gegründeten Träger ist die Stadt beteiligt. Das Konzept bleibt vorerst geheim.
Eva Lobermeyer und Regina Schunk zeigten Mitarbeiter der Haasenburg-Heime an. Hamburger Behörden hatten ihre Söhne dorthingeschickt.
Sozialarbeiter und Ärzte schätzen das Alter unbegleiteter Flüchtlinge und entscheiden damit auch über Abschiebungen. Aber sicher ist ihre Methode nicht.
Über tausend minderjährige Flüchtlinge kamen 2014 ohne ihre Familie in Hamburg an – ein kleiner Teil von ihnen macht Probleme. Die Jugendlichen sind unter Beschaffungsdruck.