taz.de -- Zunehmende Gewalt in Syrien: Assads Gräuel aufarbeiten
Die Jagd vor allem auf die Alawiten hätte verhindert werden müssen. Es mangelt an einer Aufarbeitung des gestürzten syrischen Regimes.
Die syrische Übergangsregierung unter Ahmed al-Scharaa spricht verharmlosend von „individuellen Aktionen“. Laut Menschenrechtler ist der Begriff Massaker richtiger. Es sind gezielte Vergeltungsschläge gegen eine Religionsgemeinschaft, der auch der gestürzte Despot Baschar al-Assad angehört. Mit ausgelöst wurde das aktuelle Blutvergießen allerdings von bewaffneten Anhängern des früheren Diktators und Kämpfen mit syrischen Sicherheitskräften.
In mindestens 29 Orten der Gouvernements Latakia, Tartus und Hama wurden in der Folge laut der [1][Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte] Hunderte Zivilisten, meist Alawiten, ermordet. Bewaffnete erschossen Menschen auf offener Straße. Besonders tragisch ist, dass unter den Betroffenen auch Verfolgte des Assad-Regimes sind, deren Angehörige zum Teil verschollen sind. Diese Massaker wären vermeidbar gewesen.
Menschenrechtler warnten schon früh, dass ohne eine Aufarbeitung der Assad-Verbrechen Racheakte folgen würden. Die neuen Machthaber versäumten es, Mechanismen der Übergangsjustiz zu etablieren, um den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen. Die aktuelle Instabilität ermöglicht es Milizen verschiedener Couleur, willkürlich zu agieren. Auch die internationale Gemeinschaft trägt Verantwortung.
So drehte sich die Debatte beim Besuch von Außenministerin Annalena Baerbock [2][um den verweigerten Handschlag]. Offenbar fehlt schlicht das Interesse, an Lösungen für langfristige Stabilität zu arbeiten. Zeitgleich zu den Massakern einigten sich SPD und Union im [3][Sondierungspapier] über die Wiederaufnahme von Abschiebungen nach Syrien. Nicht zuletzt angesichts der aktuellen Sicherheitslage vor Ort ist das eine unverantwortliche Entscheidung.
Die internationale Gemeinschaft darf nicht länger schweigend zusehen. Es müssen konkrete Schritte zur Aufarbeitung des Assad-Regimes unternommen werden – ohne dabei die islamistischen Gruppen unter al-Scharaa zu verharmlosen. Die Gewalt wird sonst immer weitergehen.
9 Mar 2025
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Nach den USA beendet auch die EU die Sanktionen gegen Syrien, und sogar an Israel scheint sich das Land zu nähern.
Syrien hat eine neue, vorläufige Verfassung. Sie besagt unter anderem, dass der Präsident Muslim sein soll. Es regt sich Kritik – etwa von kurdischer Seite.
Die jüngste Gewalt verunsicherte Syrien und die Welt. Das Abkommen mit den Kurden gibt Hoffnung, dass das Land doch vereint werden kann.
An Syriens Küste leben viele Alawit*innen – eine Minderheit, der Ex-Diktator al-Assad angehört. Nun gab es dort heftige Auseinandersetzungen mit den neuen Machthabern.
Während bei einer Hilfskonferenz in Paris Geberländer über Syriens Wiederaufbau sprechen, legt Übergangschef al-Scharaa politische Grundsteine.
Die syrische Künstlerin Joudi Haj Sattouf ist im Krieg aufgewachsen. In ihrer Kunst macht sie auf die Opfer des Assad-Regimes aufmerksam.