taz.de -- Neue Musik aus Berlin: Festgeschnallt vorm Radio
Der „Nachtflug“, auf den das neue Album von Herbst in Peking einlädt, ist wunderbar ungemütlich. Prinzip Rundfunk meets Post-Rock-Collage.
Schon mal vor dem Radio festgeschnallt? Das neue Album von Herbst in Peking ist das bis dato ungemütlichste [1][der Band aus dem Prenzlauer Berg] seit „Feuer, Wasser & Posaunen“, das im späten Millennium konstatierte: „Das süße Leben ist vorbei“. [2][Hätte man mal genauer hingehört], kann man aber immer noch nachholen.
„Nachtflug“ ist tatsächlich wie eine Radioshow gearbeitet und von zwei Jingles gerahmt. [3][Das Album] ist eine knappe halbe Stunde kurz, dabei jedoch prägnant. Auf dem eigentlich ersten Song „Welt der Wunder“ bedient sich Rex Joswig eines Kniffs, wenn seine Stimme kaum durch die rhythmische Geräuschwand hindurchkommt.
Von dem Dramatiker Heiner Müller heißt es, er habe sich irgendwann angewöhnt, bewusst leise zu sprechen, um sein Gegenüber zum Zuhören zu zwingen. Es lohnt sich. Drei der Texte des Albums stammen von dem Dichter Kai Pohl, sie handeln vom medialen und realen Beschiss. Im zehnminütigen Titelstück wird das universell, selbst wenn die Kulisse um die Ecke zu liegen scheint.
Zum Album gehören Vignetten und Collagen. Auf einer erläutert der Medientheoretiker Marshall McLuhan die Theorie des Loops, während eine kratzige Westerngitarre hereinweht. Der Adressat im „Lied für Edgar“ ist tatsächlich Mr. Poe, Urheber der suggestiven Schleifen „nothing more“ und „nevermore“. Dass die Eule auf dem Cover die der Minerva ist, bleibt zu hoffen. Im Allgemeinen spricht vieles für ein Nachtflugverbot; im Speziellen, und damit haben wir es hier zu tun, gilt es als aufgehoben.
9 Dec 2023
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