taz.de -- Neue Musik aus Berlin: Subtile Widerhaken
In „Cusp“, dem Debüt des Avant-Pop-Duos Twin Tooth, stecken entspannte Kühle, nuancierte Experimente und die ein oder andere gut platzierte Irritation.
„What is there more beautiful than a living thing in transformation?“ croont Anna Kohlweis im Song „Gap Year“. Also: „Gibt es Schöneres, als ein lebendiges Ding im Wandel?“ Man könnte spitzfindig zurückfragen, ob diese Aussage nicht etwas tautologisch ist. Schließlich befindet sich alles, was lebt, naturgemäß im Wandel – ob es nun wächst oder zerfällt.
Genau diese Art besserwisserischer Skepsis treibt einem dieses schöne Debüt von Twin Tooth jedoch aus. Eher gelingt es den Songs, Widersprüchliches und auch gefühlt Redundantes aufs Geschmeidigste zu amalgamieren.
Die Stücke kamen während der Pandemie in die Welt – ohne dass Kohlweis und ihr Bandpartner Jan Preißler dafür physisch zusammen in einem Raum waren. Obwohl ausschließlich im digitalen Austausch entstanden, wirkt „Cusp“ warm, fast tröstlich; gleich im Eröffnungssong „Down“ treffen Drone-Sounds auf Streicher.
Zugleich steckt entspannte Kühle und ein nuancierter [1][Experimentierwillen in den Stücken] – etwa in Form von Noise- oder Ambient-Spuren, von Wave, IDM oder auch Lo-Fi-Pop. Subtil gesetzte Widerhaken rauen die soulpoppige Oberfläche vielfältigst auf.
Die Arbeitsteilung des halb aus Wien, halb aus Berlin stammenden Avant-Pop-Duos ist klar umrissen; Lyrics und Gesang kommen von der Multimedia-Künstlerin Kohlweis (die mit Paper Bird und Squalloscope zudem eigene Musikprojekte verfolgt), die Klangschichten vom Berliner Multiinstrumentalisten Preißler. Der gehörte zur tollen Combo Vögeln die Erde essen und ist Teil des Duos WÆLDER; solo ist er als Dino Paris & der Chor der Finsternis unterwegs.
3 Sep 2022
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