taz.de -- Schwanger im Gesundheitswesen: Wenn Schutz schadet

Schwangere in Gesundheitsberufen bekommen oft Beschäftigungsverbot. Schuld daran hat die falsche Umsetzung des Mutterschutzgesetzes.
Bild: Viele schwangere Frauen im Gesundheitswesen wollen arbeiten – trotz Recht auf Mutterschutz

„Das war ja ein kurzes Intermezzo!“, war alles, was Anja Schmidt* (37) von ihrem Chefarzt zu hören bekam. Das war 2018. Schmidt war damals Assistenzärztin in einem operativen Fach an der Uniklinik Bochum und [1][zum zweiten Mal schwanger].

Ihre erste Elternzeit lag sechs Monate zurück. Sie hatte vor, ihre zweite Schwangerschaft so lange wie möglich geheim zu halten. In der ersten war sofort Schluss mit Arbeiten, als sie es der Personalabteilung meldete.

Doch der Plan mit der Geheimhaltung ließ sich nicht durchhalten. Eine OP lief nicht wie geplant. Der Anästhesist konnte die Betäubungsmittel nicht wie gewohnt über einen Tropf direkt ins Blut verabreichen und musste spontan auf eine Gasnarkose umschwenken. Dabei wird ein Cocktail aus Narkosegasen über eine Maske verabreicht, die dem Kehlkopf des Patienten aufsitzt. Unvermeidlich entweichen Gaspartikel des Narkosemittels in die Luft.

Schmidt wusste, dass einige Narkosegase sich schädlich auf das ungeborene Kind auswirken könnten, und fühlte sich nicht mehr sicher. Noch am OP-Tisch, in Kittel und Maske, Hände vollständig sterilisiert, teilte sie ihrem Oberarzt mit, dass sie schwanger ist und die OP nicht machen möchte.

Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgesetz

Nichts an Schmidts Fall ist im Sinne des aktuellen Mutterschutzgesetzes. Eigentlich will es schwangere Frauen vor Gefahren auf der Arbeit schützen. Schmidts Geschichte ist jedoch die Geschichte von vielen schwangeren Angestellten in deutschen Kliniken. Sie zeigt, wie selbstverständlich Klinik- und Abteilungsleiter hochqualifizierte Frauen [2][im Falle einer Schwangerschaft] aussortieren.

Dass der Chef sofort davon ausging, dass ein Beschäftigungsverbot verhängt wird, Schmidts Rückkehr aus der Elternzeit daher nur ein „kurzes Intermezzo“ war, ist arbeitsrechtlich falsch und ein Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Fairer und korrekter wäre es gewesen, wenn der Vorgesetzte geprüft hätte, wie Schmidt weiter sinnvoll arbeiten kann. Dazu ist er gesetzlich sogar verpflichtet.

Bei einem Beschäftigungsverbot wird die Frau noch am selben Tag von ihrer Arbeit freigestellt. Für den Rest der Schwangerschaft erhält sie weiter ihr übliches Gehalt. Sie darf von nun an machen, was sie will – nur nicht angestellt arbeiten.

Dass Ärztinnen, Pflegerinnen, Hebammen, medizinische Fachangestellte und Medizinstudentinnen ihre Schwangerschaft auch über die 12. Schwangerschaftswoche hinaus verheimlichen, ist keine Seltenheit. Über 43 Prozent haben in einer [3][Umfrage des Deutschen Ärztinnenbunds (DÄB)] angegeben, Bedenken zu haben, die Schwangerschaft ihrem Arbeitgeber zu melden. Frauen wollen dabei vor allem den Karriereknick vermeiden.

Wieder bei null anfangen

Rund sieben Monate Beschäftigungsverbot plus Elternzeit bedeuten häufig über anderthalb Jahre raus zu sein. Raus aus dem Team und den kollegialen Beziehungen, raus aus der Routine beim Operieren, raus aus den komplizierten Entscheidungen bei Medikamentengaben oder wiederbelebenden Maßnahmen.

Es ist wie bei einem Brettspiel: Mit jeder Schwangerschaft zieht die Frau zurück auf „Los“ und fängt wieder bei null an. Wenn es dann ans Verteilen von attraktiven Aufgaben und Führungspositionen geht, sind Frauen bei ihrer Rückkehr aus der Elternzeit längst – und oft von Männern – überholt worden.

Auch Chefärztin PD Dr. Mandy Mangler (43) hat alle ihre Schwangerschaften lange geheim gehalten. Mangler leitet in einer Doppelspitze mit PD Dr. Malgorzata Lanowska zwei Vivantes Gynäkologiekliniken in Berlin. Sie hat fünf Kinder „in allen Karrierestadien bekommen“, sagt sie. Bei ihrer letzten Schwangerschaft war sie bereits Chefärztin und weihte ihr Team erst in der 32. Schwangerschaftswoche ein. Sie finde „nichts schlimmer als fremdbestimmt und bevormundet werden“.

Mit der machtvollen Position als Chefärztin hatte sie vergleichsweise wenig zu befürchten. Sie entschied sich, acht Wochen nach der Entbindung an die Arbeit zurückzukehren und ihr Recht zu nutzen, das Baby während der Arbeitszeit zu stillen.

„Das muss man schon wollen, denn es war natürlich krass anstrengend gewesen“, gesteht Mangler. Dass sie ihr Recht auf Stillzeiten bei ihren ersten vier Kindern nicht wahrgenommen hat, lag daran, dass sie es schwierig fand, „diese sehr intimen Themen wie Schwangerschaft und Stillen“ [4][mit ihren männlichen Vorgesetzten zu besprechen].

Kann ich eine gute Mutter sein?

So wie Mangler geht es vermutlich vielen Frauen. Das könnte erklären, warum sie in der Medizin, die ihre Rechte häufig sehr wohl kennen und die medizinischen Gefahren selbst exzellent einschätzen können, sich selten widersetzen und unfreiwillig ins Beschäftigungsverbot weichen.

Frauen sind in ihrer Frühschwangerschaft häufig überwältigt von neuen, schwierigen Gefühlen und Gedanken. Vieles muss neu ausgelotet werden. Wie soll das Leben mit einem Kind aussehen? Auch sind nicht alle Schwangerschaften geplant – statistisch jede dritte nicht.

Die Frauen fragen sich: Werde ich das Kind alleine großziehen können? Kann ich eine gute Mutter sein? Gerade beim ersten Kind: Welche Belastung darf ich mir und dem Kind zumuten? Dazu kommt, dass viele Schwangere gerade im ersten Schwangerschaftsdrittel mit Übelkeit, Erbrechen, Kreislaufproblemen und Müdigkeit kämpfen.

In dieser Mischung aus körperlichem Unwohlsein und Unsicherheit treffen Frauen dann auf ihre auch heute noch meist männlichen Vorgesetzten. Mangler beobachtet, dass diese häufig weder Interesse noch Anreize dafür haben, ihre Angestellten weiterzubeschäftigen.

„Es ist viel leichter, die Frau einfach zu ersetzen, als sich zu überlegen, wie und wo genau man sie nun einsetzen kann.“ Da das Mutterschutzgesetz Nachtarbeit für schwangere Frauen untersagt, tendieren KlinikleiterInnen dazu, sich möglichst schnell neue, voll einsetzbare Nachrücker zu suchen.

Mit Schwangeren sprechen

Wegen des knappen Personalbudgets ist es für Arbeitgeber lohnenswerter, die Schwangere ins Beschäftigungsverbot zu schicken, sich ihr Gehalt von der Krankenkasse erstatten zu lassen und eine neue MitarbeiterIn einzustellen. Vielen männlichen Kollegen sei der Wegfall der Konkurrentin dann recht. „Da braucht man sich keine Illusionen zu machen“, so Mangler.

Anja Schmidt hätte sich gewünscht, mit ihrem Chef abstimmen zu dürfen, wie sie weiterhin operieren kann. Die meisten OPs hätte sie immer noch durchführen dürfen, und nur für einige wenige hätte es eine Art Notfallplan gebraucht. Vor Infektionen auf der Station hätte sie sich gut mit einer Maske schützen können. Die Lösung klingt banal, aber mit den Schwangeren sprechen ist oft der beste Weg, sie zu unterstützen.

Mangler selbst tut als Chefärztin alles dafür, ihren schwangeren Angestellten Selbstbestimmung über den eigenen Körper zuzugestehen, und warnt sie „vor der Falle Beschäftigungsverbot“. Regelmäßig streite sie sich auch mit der Betriebsärztin. Sie versuche „erst mal herauszufinden, was die Frauen möchten und sich vorstellen können.

Die meisten wollen arbeiten und sich nicht auf ein Mutterbild reduzieren lassen, sei ihre Erfahrung. In ihrem Team dürfen auch Schwangere weiteroperieren. Bei Mangler hätte es für Anja Schmidt sicher kein Beschäftigungsverbot gegeben.

Olga Herschel ist Kinder- und Jugendpsychiaterin in Weiterbildung und freie Journalistin

26 Jan 2022

LINKS

[1] /Streichung-des-Paragrafen-219a/!5826339
[2] /Elternschaft-und-Arbeit/!5781950
[3] https://www.aerztinnenbund.de/Betroffene_bestaetigen.3357.0.2.html
[4] /Schwanger-in-vielen-Zimmern/!5757950

AUTOREN

Olga Herschel

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