taz.de -- Rechtsstreit mit Warschau: EU-Abgeordnete drohen Polen
Im Streit mit Polen wollen Europa-Parlamentarier auch den Druck auf die EU-Kommission erhöhen. Sie ist ihnen mit Warschau zu geduldig.
Brüssel taz | Im Streit um die Justizreform und das EU-Recht in Polen haben sich die Fronten verhärtet. Kurz vor dem Besuch des polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki am Dienstag in Straßburg wird im Europaparlament der Ruf nach drastischen Finanzsanktionen laut. Auch der Druck auf die EU-Kommission steigt.
Die Kommissionschefin Ursula von der Leyen hatte vor einer Woche angekündigt, „mit allen Mitteln“ gegen das Urteil von Polens Verfassungsgericht vorzugehen, das den Vorrang des EU-Rechts infrage stellt. Doch seither ist nichts geschehen. Dies sei empörend, sagte der grüne EU-Abgeordnete Daniel Freund der taz.
Handele von der Leyen nicht spätestens bis zum 2. November, werde es zum „Showdown“ kommen. Das Parlament würde die angedrohte Untätigkeitsklage gegen die Kommission starten. Damit können die Abgeordneten die EU-Behörde vor den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg zerren.
Der Rechtsausschuss des Parlaments wollte die Klage noch am Donnerstag beschließen, die dann Parlamentspräsident David Sassoli einreichen würde. Das wäre ein Affront für von der Leyen, die 2019 mit Hilfe Warschaus in ihr Amt gewählt worden war und seither auf [1][Dialog mit Polens Regierung] setzt.
„Polens Angriffe immer dreister“
„Der Dialog mit Ungarn und Polen hat zu herzlich wenig geführt“, kritisiert Freund. „Die Angriffe sind nur immer dreister geworden.“ Die Kommission müsse nun den seit Januar 2021 gültigen neuen Rechtsstaatsmechanismus zum Schutz des EU-Budgets in Kraft setzen und den Geldhahn für Polen zudrehen.
„Die EU-Kommission sollte den Mechanismus endlich anwenden, aber auch die Coronahilfen für Polen zurückhalten und die Strukturfonds einfrieren“, fordert Freund. „Nur so können wir genügend Druck aufbauen.“
Auch die Vizepräsidentin des Europaparlaments, Katarina Barley (SPD) will Finanzsanktionen: „Die EU-Kommission sollte ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen starten und das Geld aus dem Corona-Aufbaufonds zurückhalten.“ Doch das reiche nicht. „Wir brauchen auch Finanzsanktionen – selbst wenn die Gefahr besteht, dass Polens Regierung dann andere EU-Beschlüsse blockiert.“
Es geht um sehr viel Geld. Allein aus dem Coronafonds soll Polen 28 Milliarden Euro als Zuschuss erhalten. Das osteuropäische Land ist auch größter Nettoempfänger der EU. Werden die Zahlungen aus dem EU-Budget gestoppt, würde dies Polen empfindlich treffen.
Bisher nur Anzahlung zurückgehalten
Die EU-Kommission hält bisher nur eine Anzahlung aus dem Coronafonds zurück. Morawiecki dürfte in Straßburg versuchen zu beschwichtigen. Doch die Abgeordneten haben die Geduld mit Warschau wie mit der EU-Behörde verloren. „Ursula von der Leyen muss Rückgrat zeigen“, fordert Barley.
15 Oct 2021
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Der richtige Adressat für Polens Reparationsforderungen wäre Russland gewesen. Doch Deutschland muss für den Wahlkampf der PiS herhalten.
Auf einen Zeitpunkt für mögliche Budgetkürzungen will sich Brüssel bisher nicht festlegen. Sehr zum Ärger der EU-Abgeordneten, die auf Tempo pochen.
David Sassoli hatte sich auch in der Pandemie für eine stärkere Rolle der Abgeordneten engagiert. Auf ihn soll eine erzkonservative EVP-Politikerin folgen.
EU-Parlamentspräsident David Sassoli ist im Alter von 65 Jahren in einer italienischen Klinik gestorben. Er galt als Organisationstalent und solidarisch.
Der Sanktionsmechanismus habe eine geeignete Rechtsgrundlage, so der Generalanwalt des EuGH. Polen und Ungarn wollten gegen die Regelung vorgehen.
Im Streit zwischen Warschau und Brüssel gibt sich Angela Merkel versöhnlich. Man dürfe Polen nicht isolieren, warnt die Kanzlerin.
Zu lange hat die EU im Konflikt mit der polnischen Regierung laviert. Dreht Brüssel nun den Geldhahn zu, riskiert es den Bruch mit Warschau.
Bisher wusste sich Ungarns Opposition selbst zu zerlegen. Mit dem gemeinsamen Kandidaten Márki-Zay hat sie nun die große Chance, Orbán endlich abzulösen.
Ein polnischer Bauer siegt gegen den staatlichen Energiekonzern PGE. Seiner Ein-Mann-Initiative hatten sich Tausende Menschen angeschlossen.
Die Wut in Polen auf die EU-Politik der Regierungspartei PiS ist verständlich. Doch ein Austritt Polens aus der EU ist nicht in Sicht.
Mehr als 100.000 Menschen protestieren in Polen gegen den Anti-EU-Kurs der PiS-Regierung. Sie werfen ihr vor, das Land aus der Union zu führen.
Polen und Ungarn wollen finanzielle Einbußen wegen mangelnder Rechtsstaatlichkeit verhindern. Daher haben sie Klage eingereicht.