taz.de -- Steigende Zahl von Femiziden: Mexiko-Stadt ruft Alarmzustand aus
Bürgermeisterin Sheinbaum kündigt neue Sicherheitsmaßnahmen an. Sie reagiert damit auch auf den Druck feministischer Gruppen.
Oaxaca taz | Es hatte lange gedauert, aber dann konnte sich Claudia Sheinbaum doch durchringen: Wenige Tage vor dem Internationalen Tag gegen Gewalt gegen Frauen erklärte die Bürgermeisterin von Mexiko-Stadt wegen der hohen geschlechtsspezifischen Gewalt den „Alarmzustand“. Damit wolle sie die Aggressionen gegen Frauen und Mädchen sichtbarer machen, erklärte sie.
Nun soll ein Verzeichnis erstellt werden, das Vergewaltiger und andere Sexualstraftäter systematisch erfasst. Auch eine DNA-Datenbank ist vorgesehen. „Meine Regierung wird mit aller Kraft Frauen, Mädchen und Jungen verteidigen, die Opfer sexueller Angreifer geworden sind“, erklärte Sheinbaum [1][in einem Video].
Dass die Politikerin der sozialdemokratischen Morena-Partei diesen Schritt unternommen hat, ist dem massiven Druck feministischer Gruppen zu verdanken. Immer wieder gingen sie auf die Straße, um zu protestieren. Der letzte Auslöser war die Vergewaltigung einer 17-Jährigen durch vier Polizisten – ein Fall, der wie so viele von den Strafverfolgern und der Öffentlichkeit nicht ernst genommen wurde.
Erst als bei den Demonstrationen Scheiben klirrten und das Unabhängigkeitsdenkmal mit Parolen besprüht wurde, gerieten die Forderungen ins Rampenlicht. „Ni una menos“, riefen die Frauen – auf Deutsch etwa „keine weitere mehr“ – und forderten eine konsequente Strafverfolgung und Maßnahmen gegen die zunehmende Gewalt gegen Frauen.
Sheinbaum kritisierte die militanten Proteste zunächst als „Provokation“. Später entschuldigte sie sich dafür, verzichtete auf eine strafrechtliche Verfolgung und setzte sich mit verschiedenen feministischen Organisationen an einen Tisch. „Wir haben zwar verschiedene Positionen, aber wir wollen alle die Gewalt in dieser Stadt beenden“, erklärte sie.
Dissenz unter Feministinnen
Innerhalb der Feministinnen blieben die Gespräche umstrittenen. Während die Demonstrationen in erster Linie von jungen Aktivistinnen organisiert worden seien, verhandelten alteingesessene und der Regierung gegenüber positiv eingestellte Feministinnen, kritisierten einige Gruppen. Manche wollten einfach keine langwierigen Debatten, erklärt Alejandra Haas vom Antidiskriminierungsbüro. „Sie wollen den Wandel sofort.“
Angesichts der weiteren Zunahme von Angriffen gegen Frauen und Mädchen ist diese Haltung nachvollziehbar. Im mexikanischen Strafrecht werden Morde, die aufgrund des Geschlechts verübt werden, explizit anders definiert und verfolgt. Demnach ist die Zahl der sogenannten Femizide offiziellen Angaben zufolge von 2015 mit 411 auf 833 Fälle in den ersten zehn Monaten dieses Jahres gestiegen. Feministinnen kritisieren jedoch, dass häufig Fälle nicht unter dieses Schema fallen, obwohl sie die Merkmale aufwiesen.
Täglich sterben in Mexiko zehn Frauen eines gewaltsamen Todes. Am meisten Ermordete gibt es im zentralen Bundesstaat Mexiko, der an die Hauptstadt angrenzt. In Mexiko-Stadt wurden in den ersten neun Monaten dieses Jahres mehr als 150 Frauen ermordet, 40 der Fälle gelten als Femizide.
Ob der „Alarmzustand“ für einen Rückgang sorgt, muss sich zeigen. Mexiko-Stadt ist bereits der 20. Bundesstaat mit einem solchen Schutzmechanismus. Einen Erfolg kann Sheinbaum vorweisen: Die Zahl der Anzeigen im Zusammenhang sexualisierter Gewalt sind zwischen Oktober 2018 und demselben Monat 2019 um 10 Prozent gestiegen. Das führt die Bürgermeisterin darauf zurück, dass bereits im Mai 166 Anwältinnen eingestellt wurden, die Betroffenen zur Seite stehen.
25 Nov 2019
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