taz.de -- Hohenzollern und Nationalsozialismus: Noch Platz auf dem Sofa
In Schloss Cecilienhof in Potsdam stiefelten die Hohenzollern mit Hakenkreuzbinden herum. Heute will der Clan dort wieder wohnen.
In der dänischen Illustrierten Berlingske illustreret Tidende erschien am 22. April 1934 eine spannende Fotoreportage. Die erste Aufnahme neben der Überschrift zeigt Kronprinz Wilhelm von Preußen, wie er vor einem Spiegel posiert. Mit Hakenkreuzbinde und in der Uniform eines SA-Führers. Der älteste Sohn des 1918 gestürzten Deutschen Kaisers Wilhelm II. ließ sich so in seiner Residenz in Schloss Cecilienhof in Potsdam ablichten. Auf weiteren Aufnahmen zu sehen: die beiden Söhne Hubertus und Friedrich in Zivil sowie ebenfalls in SA-Uniformen.
Neben oder zwischen den (Hakenkreuz-)Brüdern Prinzessin Cecilie, Tochter des Kronprinzen. Was die in Dänemark erscheinende Illustrierte 1934 ihren Leser*innen damit zeigen wollte? Vielleicht das: Seht her, der deutsche Hochadel mag im Ausland zivil auftreten, die deutsche Nazigefahr verharmlosen. Doch zu Hause trägt er die eigene braune Gesinnung längst offen zur Schau, inszeniert sich als Teil der Bewegung.
Die historischen Bilddokumente aus dem Jahre 1934 sind heute wieder von großem Interesse, passen sie doch nicht so ganz in das Geschichtsbild, das der jetzige Wortführer der Hohenzollern, der 1976 geborene Georg Friedrich Prinz von Preußen zu verbreiten pflegt. Er, der Ururenkel des letzten Deutschen Kaisers Wilhelms II., sieht sich, wenn es darauf ankäme, in der Erb- und Thronfolge des Adelsgeschlechts. Und er ficht für den Hohenzollern-Clan seit Jahren um finanzielle Entschädigung für die nach 1945 getätigten Enteignungen im Osten.
[1][Im Streit mit Bund und Ländern] geht es den heutigen Hohenzollern um Antiquitäten, Kunstgegenstände und Immobilien im Millionenwert. Pikanterweise sprechen sie dabei auch von einem staatlich zu alimentierenden Wohn- und Nutzungsrecht auf Schloss Cecilienhof in Potsdam. Jenem Ort also, an dem sich die Vorfahren mit Nazigrößen trafen und für die Presse die berüchtigten Totschlägeruniformen anlegten.
Leicht abgewichen?
Seit dem Ende der DDR versuchen die Erben von Wilhelm II. und dem Kronprinzen verstärkt, an frühere Besitztümer zu gelangen. Doch nach gültiger Gesetzeslage sind von Entschädigungen diejenigen ausgenommen, die Unrechtssystemen wie dem Nationalsozialismus erheblichen Vorschub leisteten. Und nach republikanischer Geschichtsauffassung taten Ex-Kaiser Wilhelm II. (gestorben 1941), sein ältester Sohn Ex-Kronprinz Wilhelm (gestorben 1951) sowie der Großteil der Hohenzollern-Sippe genau dies: dem Nazi-Regime erheblich Vorschub leisten.
Um wieder an die Macht zu gelangen – sowie aus ideologischer Überzeugung – trugen sie nach Kräften zur Zerstörung der Weimarer Republik bei.
Doch der heute 43-jährige Urenkel von Kronprinz Wilhelm bagatellisiert die historische Haltung des Hohenzollern-Clans und auch die seines SA-berockten Urgroßvaters. „Der Kronprinz ist mal vom Weg abgewichen. Aber er war kein Unterstützer Hitlers“, sagte er gerade dem Reporter der Wochenzeitung Die Zeit (19. 9. 2019). Er habe sich, so der 43-jährige Urenkel, damals lediglich „am konservativen, rechten Rand bewegt.“
Klingt das glaubwürdig? Irren sich demnach auch all die Neonazis, die alternativ zu den verbotenen Hakenkreuzfahnen heute die kaiserliche Reichskriegsflagge schwenken?
Genozidaler Antisemitismus
Dem britischen Historiker John Röhl gelang es für seine dreibändige Wilhelm-II.-Biografie vor Jahren, in den Privatarchivverschlag der Hohenzollern auf Burg Hechingen vorzudringen. Er berichtet von einer unglaublichen Unordnung, „auf dem Fußboden nebeneinander gereiht siebzehn etwa 40 Zentimeter hohe Stapel Papiere“. Röhl hatte eine Woche Zeit, Dokumente durchzusehen, Tagebücher und Briefe abzuschreiben und „einige wenige“ zu fotografieren. „Nichts war geordnet.“ Später sei ihm von den Burgherren die weitere Recherche verwehrt worden, so Röhl.
In einem Beitrag für die FAZ (1. 10. 2019) bescheinigt er dem Kaiser jetzt erneut einen Antisemitismus, der nach der russischen Revolution und der Niederlage im Ersten Weltkrieg „eine quasi religiöse Intensität“ erhalten und „im holländischen Exil geradezu genozidale Züge“ angenommen habe.
Röhl zitiert aus einem Brief Wilhelms II. vom 2. Dezember 1919 an den „allertreuesten“ seiner Generalfeldmarschälle, August von Mackensen: „Die tiefste und gemeinste Schande, die je ein Volk in der Geschichte fertiggebracht, die Deutschen haben sie verübt an sich selbst. Angehetzt und verführt durch den ihnen verhaßten Stamm Juda, der Gastrecht bei ihnen genoß. Das war sein Dank! Kein Deutscher vergesse das je, und ruhe nicht bis diese Schmarotzer vom Deutschen Boden vertilgt und ausgerottet sind! Dieser Giftpilz am Deutschen Eichbaum!“
In späteren Dokumenten empfiehlt er die völlige Entrechtung und Auslöschung der jüdischen Bevölkerung: „Ich glaube, das Beste wäre Gas.“ Unbelehrbar, schickt er am 17. Juni 1940, ein Jahr vor seinem Tod, ein Glückwunschtelegramm an Adolf Hitler und gratuliert zum Sieg über Frankreich: „Unter dem tiefergreifenden Eindruck der Waffenstreckung Frankreichs beglückwünsche ich Sie und die gesamte deutsche Wehrmacht zu dem von Gott geschenkten gewaltigen Sieg mit den Worten Kaiser Wilhelms des Großen vom Jahre 1870: ‚Welche Wendung durch Gottes Fügung‘. In allen deutschen Herzen erklingt der Choral von Leuthen, den die Sieger von Leuthen, des Großen Königs Soldaten, anstimmten: ‚Nun danket alle Gott‘.“
Zuvor hatte sein Sohn, der Kronprinz, bereits Hitler zum Überfall auf Belgien und Holland gratuliert („Mein Führer!“) und zur „endgültigen Abrechnung mit dem perfiden Albion“ (England) gedrängt.
„Antifaschist“ Louis Ferdinand
Für ihren diesen September veröffentlichten Aufsatz [2][„Nützliche Idioten, Die Hohenzollern und Hitler“] hat die in Princeton lehrende Historikern Karina Urbach die Nachlässe von Poultney Bigelow (1855–1954), Henry Ford (1863–1947) und Franklin D. Roosevelt (1882–1945) nach Korrespondenzen mit der ehemaligen deutschen Kaiserfamilie durchforscht.
Bigelow war ein amerikanischer Journalist und Diplomatensohn mit engen Kontakten zur Kaiserfamilie. Henry Ford, führender Unternehmer und Autohersteller, war ein fanatischer Antisemit, gab Schriften wie „Der Internationale Jude. Ein Weltproblem“ heraus, die auch transatlantisch die Stichworte lieferten. Ford förderte insbesondere den Kaiserenkel Louis Ferdinand, Sohn und Nachfolger des Kronprinzen Wilhelm ab 1951.
Urbach stieß im Bigelow-Nachlass auf einen Brief, den Louis Ferdinand 1932 von Wilhelm II. erhalten und an Bigelow weitergereicht hat. Der Kaiser erklärt darin seinem Enkel Louis Ferdinand die Sicht auf die Nationalsozialisten: „Du fragst mich nach meiner Ansicht über die Vorgänge im Fernen Osten und über Hitler. […] Er ist der Führer einer starken, nationalen Bewegung, gleichgültig, ob uns diese Bewegung in allen Einzelheiten gefällt oder nicht. Das, was er führt, verkörpert nationale Energie. Was einmal daraus werden wird, das wissen wir nicht, aber wir wissen, dass nur nationale Energien uns Deutsche wieder aufwärts führen werden. Das ist auch der Grund warum ich Deinen Onkels Auwi und Oskar innerhalb der nationalen Bewegung, der Nationalsozialistischen- bzw. Deutschnationalen Partei, freigegeben habe, und warum ich hier von dem Grundsatz der Zurückhaltung von Mitgliedern unseres Hauses in politischen Dingen ausnahmsweise einmal abgegangen bin. Besondere Zeiten und Umstände erheischen besondere Maßnahmen.“
Louis Ferdinand verstand. Nachdem er sich von Ford sponsern ließ, kehrte er zurück ins Reich und wechselte schließlich zur Lufthansa, wo ihn Hermann Göring protegierte.
Louis Ferdinand (1907–1994) trat nach dem Tod seines Vaters, des Kronprinzen (1951), als Chef des Hauses auf. Da Louis Ferdinand auch Kontakte zu den Attentätern vom 20. Juli 1944 unterhielt, ohne selbst aktiv zu werden – die Hohenzollern sicherten sich für den Fall ab, dass andere Strömungen aus dem rechten Lager an die Macht kämen –, fußt die Legende vom angeblich antifaschistischen Herrscherhaus wesentlich auf seinen biografischen Anekdoten nach 1945.
Brief an Roosevelt
Die Wirklichkeit sah auch bei ihm anders aus. Als gut vernetzter Kaiserenkel erhielt Louis Ferdinand 1933 eine Privataudienz bei Adolf Hitler. Beeindruckt berichtet er im Sommer 1933 US-Präsident Roosevelt in einem Brief von den „großen Entwicklungen und „dem Beginn einer neuen Ära des Vaterlands“, dessen intimer Beobachter er sein durfte: „Deutschland wird ebenfalls seinen New Deal bekommen. Es ist eine der größten Befriedigungen meines ganzen Lebens, dass ich die historische Rede Hitlers im Reichstag erleben durfte, als er entschlossen die kraftvolle Hand ergriff, die Ihre Exzellenz im Namen Ihrer großen Nation ausgestreckt hatte, um dadurch das Vertrauen auf Frieden in der Welt wieder herzustellen.“ Das schrieb er nach Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes, Zerschlagung von Gewerkschaften und demokratischer Opposition.
Louis Ferdinand agierte lieber hinter den Kulissen, sein Vater, der Kronprinz, drängte gemäß seiner Stellung ins Rampenlicht. Er rühmte sich, den Nazis durch sein Prestige und Eintreten für die Sache 2 Millionen Stimmen eingebracht zu haben.
Auch die Hakenkreuzinszenierung für den Fotografen auf Schloss Cecilienhof war keineswegs unbedacht, wie der Historiker Stephan Malinowski betont. „In einer Zeit, die nicht vom Strom der Teenager-Selfies vor dem Spiegel überflutet war, sind Bilder vom Kronprinzen in SA-Uniform vor dem Spiegel, im Gespräch mit Göring oder beim Aufmarsch neben Himmler und Röhm von größter Bedeutung“, so der in Edinburgh lehrende Historiker. Viele aus dem alten Hochadel agitierten für die braune Machtergreifung.
„Juden und Marxisten“
Und auch bei der Konsolidierung des Regimes wirkten die führenden Repräsentanten der Hohenzollern fleißig mit. Am 27.8. 1933 erschien in dem New York Herald Tribune ein prominent platzierter Artikel des Kronprinzen. Überschrift: „Warum ist die Welt gegen uns?“ Der politische Terror gegen Andersdenkende war in vollem Gange, als der Kronprinz sich beschwichtigend an die amerikanische Öffentlichkeit wandte. „Juden und Marxisten“ verbreiteten ein Zerrbild von Hitler und Deutschland, auch wenn er einräumen müsse, dass es „vereinzelt“ zu bedauerlichen Missverständnissen und Gewaltanwendungen gekommen sei.
Doch, so der Kronprinz, er sei überzeugt, dass „Europa und die ganze kultivierte Welt sich einst bei Adolf Hiltler bedanken wird, nicht nur Deutschland sondern die ganze zivilisierte Welt vor dem Bolschewismus gerettet zu haben“. Ärgerlich nur, dass die Hohenzollern für ihre Dienste von Hitler nicht mit der erhofften (teilweisen) Wiedereinführung der monarchischen Ordnung belohnt wurden. Und das, obwohl sie sich sogar freiwillig für die Angriffskriege zur Verfügung stellten.
Wie der heutige Hohenzollern-Chef Friedrich von Preußen bei der historischen Faktenlage erklären will, warum ihm ein Platz auf dem Familiensofa in Schloss Cecilienhof zustünde, wird demnächst auch den deutschen Bundestag beschäftigen. Die Grünen-Bundestagsfraktion fordert in einem am 25. 9. eingebrachten Antrag die Offenlegung der bislang geheim geführten Gespräche mit den Hohenzollern. Das Parlament soll in die von Staatsministerin Monika Grütters geleiteten Verhandlungen über mögliche Restitutionen eingebunden sein.
Vielleicht sollte Friedrich von Preußen dann auch einmal erklären, wie es sich damit verträgt, heute ein Bürger der Bundesrepublik sein zu wollen, und sich, wie von Journalisten kolportiert, von Angestellten auf Burg Hechingen mit „Königliche Hoheit“ ansprechen zu lassen?
Etwas mehr Demut schiene in jedem Falle angebracht.
6 Oct 2019
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