taz.de -- Kommentar Rechte Jagd in Chemnitz: Katastrophengebiet der Demokratie

In Chemnitz verfolgt ein gewaltbereiter Mob alles, was nicht seinen kruden Maßstäben entspricht. Die Kanzlerin muss nun Gesicht zeigen.
Bild: Die Kanzlerin sollte sich die Katastrophe im Schatten des Karl-Marx-Monuments vor Ort anschauen

Angst und Gewalt zu verbreiten, das nehme der Rechtsstaat nicht hin, lässt Bundeskanzlerin Angela Merkel am Montag durch ihren Sprecher ausrichten. Die drängende Frage jedoch, die sich nach [1][den Ereignissen von Chemnitz] stellt, lautet: Was bedeutet das konkret?

Ein Mensch ist gestorben, ein Verbrechen wurde begangen. Und in Chemnitz, Deutschland, bahnt sich eine Katastrophe an. Ein gewaltbereiter Mob jagt alles, was nicht seinen kruden Maßstäben entspricht. Was also taugt angesichts dessen die hoheitsvoll vorgetragene Sentenz, derlei habe „in unseren Städten keinen Platz“? Was kann, was soll der Rechtsstaat tun?

Außer der Aufklärung und Ahndung begangener Straftaten wäre eine weitere Antwort auf diese Frage, dass Angela Merkel nach Chemnitz fährt. Dass ihr Innenminister nach Chemnitz reist. Ihre Justizministerin. Dass sie sich vor Ort ein Bild machen, um daraus Schlüsse für ihr politisches Handeln zu ziehen.

Und zwar selbst auf die Gefahr hin, sich im Schatten des Karl-Marx-Monuments in der Chemnitzer Innenstadt von hasserfüllten Sachsen anschreien lassen zu müssen. Mit derlei müssen BerufspolitikerInnen klarkommen; anders als jene, die [2][auf den Listen der Rechten] stehen, verfügen sie über Personenschutz.

Politiker müssen in Katastrophengebieten helfen

Die Kanzlerin und ihre MinisterInnen könnten tun, was PolitikerInnen in aufrüttelnden Reden immer mal wieder vom Wahlvolk fordern: Gesicht zeigen. Sie könnten klarstellen, wer tatsächlich die RepräsentantInnen ebenjenes Rechtsstaates sind, den die paramilitärisch agierenden Glatzen gern abgeschafft sähen.

Nämlich nicht die AfD, deren Bundestagsabgeordneter Markus Frohnmaier in hetzerischer Absicht Selbstjustiz als „Bürgerpflicht“ bezeichnet. Sondern vor allem jene in Sachsen, die täglich Tür an Tür mit den selbsternannten wahren Deutschen leben. BürgerInnen, WählerInnen, die sich nicht damit abfinden wollen, dass der Osten des Landes zum Aufmarschgebiet gewaltbereiter Demokratiefeinde wird.

Man darf und man soll fragen, was angemessen ist. Muss Angela Merkel neuerdings zu jeder Kirmeskeilerei eilen, deren die Polizei nicht Herr wird? Nein. Aber zahlreiche Kommunen, ganze Regionen in Ostdeutschland drohen gerade zu einem Katastrophengebiet der Demokratie zu verkommen. Und in Katastrophengebiete sollten PolitikerInnen reisen und fragen, wie sie helfen können. Tun sie das nicht, kommen andere.

Im Jahr 2019 werden in den Bundesländern Sachsen, Thüringen und Brandenburg neue Landtage gewählt. Wem die BürgerInnen zutrauen, ihre Geschicke zu lenken, das entscheidet sich schon jetzt, Tag für Tag.

27 Aug 2018

LINKS

[1] /Todesfall-bei-Stadtfest-in-Chemnitz/!5530703
[2] /Feindeslisten-von-Rechtsextremen/!5520766

AUTOREN

Anja Maier

TAGS

Chemnitz
Schwerpunkt Rechter Terror
Polizei Sachsen
Rechtsextremismus
Ultras
Rechtsextremismus
Rechtsextremismus
German Angst
Polizei Sachsen
Chemnitz
Polizei Sachsen
Fußballfans
Polizei Sachsen

ARTIKEL ZUM THEMA

Kolumne Flimmern und Rauschen: Rechts – Links – Mitte – Hä?

In vielen Medien heißt es, in Chemnitz hätten sich „Rechte“ und „Linke“ gegenübergestanden. Das ist nicht nur falsch, sondern brandgefährlich

Grünen-Fraktionschef zu Chemnitz: „Aufarbeitung ist dringend nötig“

Anton Hofreiter übt scharfe Kritik an Innenminister Seehofer. Jener habe mit fahrlässigem Gerede den Nährboden für Selbstjustiz geschaffen.

Kolumne „German Angst“: Verkehrte Welt und vierte Gewalt

Endlich aufgedeckt: Nicht die Polizei schützt Recht und Gesetz, um Vertrauen in den Staat überhaupt erst zu ermöglichen. Es verhält sich andersherum!

Kommentar Ausschreitungen in Chemnitz: Probe für den rechten Volksaufstand

Hass, Aggressivität und Menschenverachtung: In Chemnitz bekam man am Montag ein Gefühl dafür, was uns bei einem fortgesetzten Rechtsruck droht.

Ausschreitungen in Chemnitz: Gut vernetzte rechtsradikale Szene

Rechtsextreme marodierten am Montagabend wieder durch Chemnitz. Beim Aufeinandertreffen mit Gegendemonstranten wurden sechs Menschen verletzt.

Rechte Aufmärsche in Chemnitz: Schon wieder Sachsen

Nach einem Streit mit Todesfolge in Chemnitz rufen Rechte zu Demos auf. Kurz darauf sind Hunderte unterwegs. Eine Fallrekonstruktion.

Rechtsextreme Fußballfan-Gruppierungen: Kein Einzelfall

„Kaotic Chemnitz“ gelang es am Sonntag, 800 Menschen zu mobilisieren. Die Gruppierung hat Verbindungen zur Neonaziszene. Allein ist sie nicht.

Todesfall bei Stadtfest in Chemnitz: Zwei Verdächtige in U-Haft

Nach einem Tötungsdelikt in Chemnitz sitzen zwei Verdächtige in Untersuchungshaft. Zuvor hatte es Aufmärsche von hunderten Rechten gegeben.